Reisen

Globetrottergedichte und andere Verse vom Reisen und Unterwegssein.

Drückfahrt & das zweihundertsiebenundachtzigste Gedicht

Blumenmeer am Grazer Hauptbahnhof

Idylle am Grazer Hauptbahnhof. Später wurde es ungemütlicher.

Der Zuggereiste

Die von Platznot befohlene Sitzposition
Lähmt mir alle Glieder von Anbeginn schon
Verfinstert mir seither das Dasein per Dauer
Und blinzelt gerissen zum dräuenden Aua!

Die despotische Herrschaft des Unausgestreckten!
Der aus Muskelfleisch tränende Drang nach Bewegung ...
Diese fiese Gewalt am in Ketten gesteckten
Körper in regungslos tauber Erregung
Der in die Polster rückenschwitzt
Als Plattgedrückter grollt. Und sitzt.

Transit & das zweihunderteinundzwanzigste Gedicht

Schiphol, Gate D86

Der Rückweg von Luxemburg zieht sich. Ein Zwischenstopp in Amsterdam. Plus Zwischenspurt zum letzten Gate-Zipfel des Flughafens.

Der letzte Finger

Transfer Schiphol, Gate D86
Die letzte Ausfahrt für ein Date in der Luft
Bevor ich dort boarde, neigt unlängst die Nacht sich
Und dämmernd umschleicht mich ein Sackgassenduft

Klassenkampf & das hundertzweiundfünfzigste Gedicht

Karl Marx Kopf in Chemnitz

Sitzplatzdramen auf der ICE-Zugfahrt von München nach Nürnberg. An einem Freitag normal. Und auf den Regionalzugfahrten von Nürnberg bis Chemnitz genug Zeit für die Rekapitulation:

"Verzeihung, sind Sie Bahn.Comfort-Kunde?" (Den Zweiteklassezweiten)

Regionalbahnenversagerlegionen
Fahren vom Schaffen nach da, wo sie wohnen
Schlafen im Mief der Tarifgebietszonen
Regionalbahnenversagerlegionen

Siegesgewisse Bahncomfortbereichler
Sitzplatzberechtigungskartenbestreichler
"Sorry, ihr sitzt da auf unseren Thronen,
Regionalbahnenversagerlegionen!"

Ciao Sardegna & das hundertsiebenundvierzigste Gedicht

Masken aus der Barbagia

All dem, was man bei solchen Kurzstopps verpasst ...

Das Abheben von Inseln

Kann sein, dass was da unten ist
Sich gleich nach Niederkunft verpisst?
So hab' ich all das nie geseh'n
Doch formt sich langsam ein Versteh'n:

Man sieht wohl als ein Reisender
Das meiste auch erst hinterher

Alghero & das hundertzweiundvierzigste Gedicht

Am Strand von Alghero

Und natürlich auch: Strand. Slamtour auf Sardinien mit Badehose im Gepäck.

Die italienische Sprache

Da fliegt sie dahin, die italienische Sprache
Für mich ohne Sinn, in die schmucklose Brache
Von Spanisch-Residuen und Schüler-Latein
Gewürzt mit Klischeeschmelz aus Bella! und Wein
Irgendwo glimmt fast nassforsch ein Schein von Versteh'n

Gut, was davon stimmt, wird man später beseh'n ...

Hilflos wirft man die Anker ins Wabern vom Sinn
Und fliegt auf ein Stückchen im Klangbild dahin

Inside Sassari & das hundertneununddreißigste Gedicht

Sassari Altstadt

Loslaufen. Ziele ergeben sich.

Die Windungen der Altstadt

Sich in dies Gewühl der Gassen
Einfach fünfmal fallen lassen
An den Rand zum Sich-Verlieren
Dann zurück ins Orientieren
Ohne Fallschirm einer App
Ohne Hoffnung auf das Web
Schlichtes volles Risiko

Man ist immer irgendwo.

Sassari & das hundertachtunddreißigste Gedicht

Sassari Rathausplatz

Angekommen. Und jetzt: Vier Auftritte auf Sardinien.

Statt Stadt

Die haben hier Kakteen und Palmen
Wir kauern auf bekackten Halmen ...
Ob ich eher auf Mäher oder mehr so auf Meer steh'?
Ob ich scharf werde, wenn ich 'ne Schafherde anseh'?

Mann, bis spät in die Nacht lacht hier Sonnenlichtzauber
Da mach' ich mich sonst für die Frühschicht schon sauber!

Ach, wär's so, dass ich Firma nenn'
Der Insel Sternenfirmament

Oliven statt "oh, leave it, man!"
Lavendel statt ein laffes End' ...

Cagliari & das hundertsiebenunddreißigste Gedicht

Bahnhof in Cagliari

Manchmal landet man in einer gewissen Unwirklichkeit. Obschon man Bahnhöfe ja eigentlich ausreichend kennt.

treniprovenientebinario

Was mir italienische Durchsagen sagen?
"Du kannst dich, Bursch, irgendwie echt nicht beklagen!"

Sardinien & das hundertsechsunddreißigste Gedicht

Bahnfahrt Sardinien

Angekommen.

Das Landen auf Inseln

Wenn die Linie der Küste sich sichtbar erstreckt
Und das Meer türkisgrünend den Gelbrand beleckt
Querst du erstmal das Füllhorn an landiger Masse
(Sofern du nicht falschseitig ohne Gewähr bist
Nur siehst, dass das Meer halt noch immer ein Meer ist)
Was hieraufhin folgt, ist 'ne bauchmulmig krasse
Kurve, durch die Meer und Himmel verschwimmen
Im taumelnden Glauben, dies möge so stimmen
Fliegt man schiefer und schiefer
Und taucht immer tiefer
Dann macht die Maschine recht fremde Geräusche
Ist das noch in Ordnung? Klingt nicht so - ich täusche
Mich da hoffentlich ... und: ja!
Hier ist der Boden, wir sind da.

Helsingin Yöt & das hundertsechsundzwanzigste Gedicht

Helsinki Domplatz

Das letzte Gedicht aus Helsinki. Zu den letzten Stunden des Tages. Oder den ersten Stunden der Nacht. Und dem fehlenden Unterschied.

Das nicht schwindende Tageslicht des Nordens

Nachts sind alle Straßen blau ...

Als stünde der Tag da noch grade im Stau
Auf seinem Weg ins All zurück

Doch spart er sich das letzte Stück
Und bläut hinein in schwarze Nacht
Man freut sich, dass er das so macht

Auch Reiseweg-technisch scheint es äußerst schlau:
Das Dunkel durchströmende nordische Blau

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