Einakter

Alles, was die zwölf Zeilen überschreitet - aber auch noch nicht an die Länge der Slamgedichte/die Vortragsdauer von drei Minuten (oder mehr) heranreicht.

Tudorschornstein & das zweitausendfünfhundertsechzehnte Gedicht

Schornsteine im Tudorstil vom Schloss Cecilienhof im Neuen Garten in Potsdam

Unter auf Krawall Gebürsteten

Wir machen's uns nicht schön, wie Sie
Ob Wohlstandsgrads vermuten -
Wir schießen uns ins eigne Knie
Und filmen uns beim Bluten.

Der morgendliche Joggingkurs
Kreuzt unsre Leidenswege.
Allmächt'ger Kanonklang des Durs -
Nun komm'nwa ins Gehege!

Denn das Idyll als Ideal
Hat abgedankt, Frau Holle!
Das Glück und Pech sind gleich egal,
Sie paradier'n im Molle.

Wir haben Lasten angehäuft
Und wollen uns beschweren.
Uns ist jetzt klar, wie was hier läuft,
Bell'n: "Einspruch, Euer Ehren!"

Die Tonlage heißt einig Wut
Und stetig knickt ein Knie.
Allein der Ärger tut uns gut
Und wir erklären, wie.

St. Borromäus & das zweitausendfünfhundertzwölfte Gedicht

Kath. Kirche St. Karl Borromäus in St. Moritz

Die Scholle

Es gibt da einen Ort, an dem die
Mythen, die Diebe, die Chuzpelust
Seit jeher und fortan besteh'n.

Dort macht sich die Seele bequem, sie
Bewirkt's und tangiert's von alleine. Du musst
Aus eigner Sorge dorthin geh'n.

Denn das Verlieren der Fühler - es schreitet voran!
Dereinst treuer Schüler, begreifst du: Es kann
Früher überzeugt Erlerntes
Hinfällig einstmals erscheinen.
Und als ein sehr, sehr weit Entferntes
Nicht zu dem mehr zähl'n, das wir beweinen.

Es gibt da einen Ort, der speichert
Der Kupferstecher Beute,
Der verliert seinen Sog.

Er hortet so viel, das bereichert.
Misstraue dem Heute,
Das stets dich betrog.

Weitseeausgang & das zweitausendfünfhundertfünfte Gedicht

Ufer vom Weitsee im Dreiseengebiet zwischen Ruhpolding und Reit im Winkl

Nach dem See

Ich war heut mit künftigen Leichen baden.
Ich muss sagen, sie schwammen sehr gut.
Da schwärmten sie: "Erika, zeig deine Waden!"
Für Lebende ganz schön viel Mut!

Ich hab manche Hintern vorm Stillstand geseh'n.
Ich muss sagen, sie blieben mir fern.
Ich zerrte sie in Silhouetten von Reh'n
Vor einem erloschenen Stern.

Die Straffen hab'n frech für ein Mehr kandidiert.
Ich muss sagen, die wirkten gesund.
Da wurd' manche Zweisamkeit abzelebriert
In Gemeinsamkeit mit einem Hund.

Mag sein, ihre Haut wird durch Luft präpariert.
Ich muss sagen, die kennen den Dreh!
Für jeden, der doch in 'nen Sarg sich verirrt,
Steht hinten am Waldrand ein Reh.

Jedermann-Festspieltribüne & das zweitausendfünfhundertdritte Gedicht

Die Jedermann-Zuschauertribüne der Salzburger Festspiele am Domplatz

Vielleicht, dass Schmetterl ...

Kaum, dass der Sommer dir versprach,
Du würdest nie mehr frieren,
Verfinstert sich der Rest vom Tag
In längst geleerten Bieren.

Die Brunnen sind noch in Betrieb -
Dann hab'n wir's noch nicht Winter!
Du schwörst, es hätt' dich jemand lieb
und kommst auch noch dahinter …

Die Würfel sind im freien Fall -
Da ist noch nichts entschieden
Und alles ist jetzt überall.
Der Schlusspunkt ward vermieden.

Noch laufen vor allem die Brunnen vorm Tore -
Doch die schönen Geschichten sind alle erzählt.

Ich schwitze den Alkohol aus jeder Pore -
Vielleicht, dass aus mir sich ein Schmetterling schält …?

Bahnwärterwacht & das zweitausendvierhundertneunundneunzigste Gedicht

Auf dem Gelände des Bahnwärter Thiel

Crème de la Crème

Ich wünsche mir vor meines Lebens Erblindung
Noch so etwas wie eine Eiscremeerfindung.
Etwas Nützliches, dass dem Genusse entspringt -
Etwas Nutzloses, dass sich als Must-have verdingt.
Ein Gewöhnung verpönendes Mahl des Verwöhnens,
Ein unübergehbares Mal des Versöhnens,
Unwiderlegbar als "Is the world nice?!"-Meme -
Kurzum, ein bisschen so etwas wie Eiscreme.

So 'ne Erfindung der Welt hinterlassen,
Als letzter Akt vorm finalen Erblassen,
Irgendwie etwas wie Eiscreme vererben ...

Gut, man kann friedlich auch ohne dies sterben.
Doch das als ein Restzielchen nicht aufzugeben -
Das ist letztendlich mein Anspruch ans Leben.

Schlafenszeit & das zweitausendvierhundertsiebenundneunzigste Gedicht

Eingangsportaluhr der Blutenburg

Das Gerüst

Wenn ihr Clowns euch schlafen legt,
Muss ich aufbau'n, unentwegt,
Das Gerüst; muss prüfend schauen,
Ob der Lift zum Morgengrauen
Sicher funktioniert, dass die
Liebe Sonne irgendwie
Ihren Weg ans Firmament
Absolviert. Derweil ihr pennt.

Ich erschaff zur Schlafenszeit,
Eskortiert von Wachsamkeit,
Das Gerüst vom neuen Tag.
Einfach, weil ich euch so mag.
Würd ich nicht um euch mich sorgen,
Verseleer wär euer Morgen!

Doch dass ich dann dösend den Tag zu nichts nutze
(verrichteter Pflicht gemäß hab ich ja frei),
Es müßigt euch zu einem Runtergeputze:
Ihr bezichtigt mich schlichtweg der Tagträumerei!

Kircus und Cirche & das zweitausendvierhundertneunzigste Gedicht

Ausblick auf Kochel

Zum Neumischen der Karten

Bevor alles beim Alten bleibt,
Wappnen wir uns fürs Rückschritte-Rennen.
Es ist ja egal, wer nun wie übertreibt,
Da wir beide Seiten schon kennen.

Doch schon wieder ertappst du dich, mehr zu erwarten -
Treu verfolgst du die Phalanx der Prognosen!
Ob der Möglichkeit anderer Kann-Kandidaten
Hortest du Hope - in nicht-impfbaren Dosen.

Litaneien von "Eigentlich kann das nicht sein!"
Setzt Realität unter Dauerbeschuss.
Sie krächzen und ächzen ihr stöhnendes "Nein …!",
Steh'n fassungslos vor - scheint's gewöhnbarem - Stuss.

Wir haben das nicht mehr für möglich gehalten -
Ohne Chancen, auf and'res zu hoffen.

Es gilt, die Prinzipien im Off zu verwalten,
Als stünd das Ergebnis noch offen.

Badeseeaussicht & das zweitausendvierhundertneunundachtzigste Gedicht

Ausblick auf dem Weg zum Fohnsee

Ultra Windfrisch

Mein T-Shirt riecht, als hätte man's
Mit einem Hund gewaschen,
Als trüg's 'nen kotverschmierten Schwanz
In unsichtbaren Taschen!

Versprach denn nicht die Packung,
Die den Weichspüler enthielt,
'Ne windfrische Durchschmackung,
Die jed' Wäschestück durchprilt?

Es mag ja sein, aus einem Heim
Für vollgeschiss'ne Hunde
Weht solch ein kaltes Windchen beim
Vollzug der Nachtwachrunde.

Dann wäre das Versprechen "windfrisch"
Nicht mal komplett gelogen.
Und doch hat die Verpackung, find isch,
Mein Käufer-Ich betrogen!

Ankerplatz & das zweitausendvierhundertsiebenundachtzigste Gedicht

Ankerplatz am Büsumer Hafen

Büsum ohne Maps

Der Meerzugang gibt sich umfährend
Und fernab blökt ein Kahn ...
Dich wünsche ich mir selbsterklärend,
Denn ich hab keinen Plan.

Doch mein Fremdeln mit den fremd'sten Städten
Währt nur einen Fixpunktaugenblick.
Hernach kann sich Übersicht in ihnen betten -
Das passiert nach mir selbst nicht erschließbarem Trick.

Dann schlägt sich in gewohnte Bahnen
Meine verhilfloste Ziellosigkeit.
Es ist ein zum Wissen geleitendes Ahnen -
Kurz scannen, erkennen - schon is man soweit:
Da Eiskrem, hier Fischbrötchen, dort geht's zum Meer!

Als kennte die Stadt man von irgendwoher.

Gleitfliegerschlaf & das zweitausendvierhunderteinundachtzigste Gedicht

Fliegender Lemur (Galeopterus variegatus) im Bako Nationalpark Bako-Nationalpark bei Kuching / Sarawak

Heimrück(en)kehrersorgen (Reprise zum Gedicht "Sarawak")

So war ich denn - nach dreißig Jahr'n -
In Sabah und in Sarawak.
Sollt' ich noch mal so fleißig spar'n,
Kehr' ich zurück als Sabberwrack.
Oder ist's für mich als Menschgerät
Nicht sehr viel früher schon zu spät?

Ach, über den Plänen großer Reisen
Wähn ich längst die Geier kreisen!
Wie viele der säumig gebliebenen Fahrten
Darf ich bei okayer Gesundheit erwarten?

"Ausreichend genug", möchte ich mir entgegnen,
"Aber sei drauf gefasst, Kerl: Es könnte mal regnen ...!
Also, spar dir dein kack Hohes-Alter-Gelaber:
Du warst jetzt in Sarawak, warst auch in Sabah
Und die Hälfte der Welt würd 'nen Teil deiner Sorgen
Sich gern mal drei Stunden als Zuversicht borgen!"

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