Frank Klötgen – Post Poetry Slam – immer frische Gedichte & Fotos

Seit 2016. Auf Globetrotter-Slam-Tour durch bislang 36 Länder auf 5 Kontinenten

Wasser

Verse für die Phlegmatiker, denen man Wasser, Winter, Nacht, Baby- und Greisenalter zuordnet.
Die beschreibenden und erzählenden Gedichte.
Von der Naturlyrik bis zu allen Längenvarianten der Ballade.

Sollte Ihnen ein hier eingereihtes Gedicht eher den anderen Kategorien Erde, Luft oder Feuer entsprechen, bitte ich, mir eine Nachricht über www.hirnpoma.de zukommen zu lassen!


  • Wilhelm-Leuschner-Platz & das zweihunderteinundachtzigste Gedicht

    Leipzig S-Bahnhof Wilhelm-Leuschner-Platz

    S-Bahnhof in Leipzig City.

    Stolz und Urvorteil

    Die Klarheit der Form klagt dem Kitsch-Ornament:

    „Es nervt mich enorm, dass mich keiner erkennt!“

    „So schluchzet laut auf und beginnt nicht im Kleinen!
    Ihr sollt plakativ Krokodilstränen weinen!“

    Der Klarheit erschien solch ein Auftrag zu dick
    Sie beschloss zu verhärmen – mit schnippischem Schick


  • Lauenbrück & das zweihundertfünfundsiebzigste Gedicht

    Landpark Lauenbrück

    Gäste im Abseits beim Poetry Slam im Landpark Lauenbrück.

    Unter Tieren

    Die Tiere sind immer in ihren Verstecken
    Was sich unbedacht zeigt, wird schnell niedergestreckt
    Der Wald wird Gewehrlauf und Fangzähne blecken
    Wo ein Schnäuzchen zu weit sich in Lichtungen reckt

    Die Tiere sind immer in ihren Verstecken
    Sie sind nicht zu sehen und doch sind sie da
    In blickdichten Dickichten nicht zu entdecken
    Ihr’n Fluchtinstinkt zügelnd bei nah’nder Gefahr

    Doch Angstschweiß verrät die Gedanken der Tiere
    Ein spähender Blick streift die Fährte zum Bau
    Die knurrenden Mägen markieren Reviere
    Und Anwesenheit spürt ein Jäger genau

    Dann schnellt eine Kralle ins Herz einer Höhle
    Gellt ein Schuss, kläfft die siegreiche Jägersmann-Töle
    Werden Kobel und Nester von Glut überfallen
    Und Blutrunst durchstöbert die heim’ligen Hallen …

    Doch die Tiere sind immer in ihren Verstecken
    Es werden Verluste und Wunden beleckt
    Kurz ohne ein Heim und ermattet vom Schrecken
    Besteht eine Welt, die ist bestens versteckt


  • Rheinwasser & das zweihundertzweiundsiebzigste Gedicht

    Mosel bei Koblenz

    Moselschwimmer, vom Schönfärber verwöhnt. Und ein Rheingedicht. Mit Gruß aus Koblenz.

    Treibgut (darum ist es am Rhein so schön)

    Dass ein alter und schmutzigschauriger Fluss
    Im Tal der Romantik sehr traurig sein muss
    Mag jeder nach Stimmigkeit Dürstende glauben
    (Und niemand soll hier ihm die Zuversicht rauben)

    Auch zur Schmach der Dramaturgen
    Schauen Fachwerk, Wein und Burgen
    Auf die brackigbraunste Brühe
    Die als Fahrtweg nur beliebt
    Weil es all das andre gibt

    Ach, leidige Idyllen-Mühe!
    Da am stärksten dich genießen
    Die sich dreist und mit Genuss
    Ins gemachte Flussbett gießen
    Nivelliert vom Überfluss


  • Maxvorstadt & das zweihundertsiebenundsechzigste Gedicht

    Maxvorstadt

    Da schwingt wohl eine kleine Fremdsprachensehnsucht mit … kaum, dass man fünf Tage nur in Deutschland war.

    Karwenzig blasst de Avenhumm

    Karwenzig blasst de Avenhumm uwer Pickwikkastell
    Da einsamst klamm ehn Petersmann im Blottschreif durg de Astel
    Sei Wündspalts purgelt furchtersicht, un krähwärts zirrt sei Nassen
    Da hebbet sig de Mann un richt: „No kommet Darsteen Kassen!
    No kommet he, no kommet he!“ – un all da Spritzback bämmst in’n sne‘
    De Zarm kühn’ns nimmer fassen …

    Verländert geift an letzt Gerück‘
    Herdorch de Heen von Peters
    Da spanend außig alsen Drück
    Hinnach flächt dess Gezeters

    Larendebt locht de Avenhumm un ab de Lurgen Beime
    Von stillerst ward, niet angepelcht – vorkorst de lichten Eime
    Un wenzig blasst de Avenhumm uwer Pickwikkastell
    Klamm einerter de Petersmann. Im Blottschreif foh’sen Astel!


  • Sommerpause & das zweihundertsechsundsechzigste Gedicht

    Tollwood Festival

    Beinahe Urlaub: drei freie Tage in München. Im, aber ohne Sommer

    Moose und Mosern

    Da atmen die keuchenden Bäume den Staub
    Den der sonnendurchdrungene Boden nicht hält
    Es senkt sich verzagend vom Zweige das Laub
    Dem gilbenden Grase als Frage gestellt:
    „Weißt du, ob des Regens belebender Guss
    Ist schon auf dem Wege zu uns? Denn sonst muss
    Das vom Frühling Erworbene wieder verderben
    Und noch als Gedeihendes frühzeitig sterben!“

    Da, wie auf ein Zeichen, verfinstern sich Wolken
    Werd’n Wasser auf Wasser aus Watte gemolken

    Den Pflanzen ist’s fraglos erlösender Segen
    Nur ich moser‘ böse: „Den ganzen Tag Regen!“


  • Vorstadt & das zweihundertdreiundsechzigste Gedicht

    Görlitz, andere Neißeseite

    Drei Tage Görlitz, Straßentheaterfestival. Über Grenzverläufe innerhalb der Stadt.

    Stadtkernaufwertung

    Da ist der Geruch aus den Kellern der Vorstadt
    Der lässt sich nicht globalisieren
    Dort liegt noch Terrain, mit dem keiner was vorhat
    Sind Flecken und Flecke, die nicht int’ressieren
    Bald sind es nur sie, die dich an die Stadt binden

    Doch kennst du die Pfade fürs Weiterempfinden
    Lässt sich dieser Ort nicht hinfortinvestieren


  • On the road again & das zweihundertsiebenundfünfzigste Gedicht

    Olympiapark München

    Ach, was war das für eine entspannende Zeit: zehn Tage Tourpause. Und jetzt weiter im Text.

    Das Leseband

    Es hängt das Lesebändchen stur
    Sinnlos baumend, scheinbar munter
    Zweckverwaist als Buchmontur
    Sich nicht rein, nur rücklings runter

    Wie ist noch dieses Buch gewesen
    Das ich scheinbar hab gelesen?
    Sagt das Band, ich wollt dran denken
    Es schnellstmöglich zu verschenken?

    Oder meint es: „Gib dem Buch
    Einen weiteren Versuch!“
    Ist’s ein Signal, es sei so schlecht geschrieben
    Dass nicht mal sein Bändchen drin hängen geblieben?

    Nun war ja des Bändchens ureigener Sinn
    Zu zeigen, wie weit ich gekommen bin
    Doch mitleidsbefreit sagt das Band jetzt: „Du Tor!
    Bist so weit als wie zuvor …“


  • Eibsee & das zweihundertfünfundfünfzigste Gedicht

    Eibsee

    Letzter Tag in München (bzw. nähere Nachbarschaft), bevor es wieder auf Tour geht.

    Eibsee

    Du bist flüssiger Berg, ein Gedächtnis von Masse
    Zu Klarsichtfolie geleetiert
    Erstrahlst in opalen-karibischer Klasse
    Dass alle Gestelztheit des Lebens gefriert

    Ich tu in Demut meine Züge
    Und lass mich durch die Felsen treiben
    Ich schlucke Kiesel zu Genüge
    Und sink gen Gipfel, dortzubleiben


  • Olympiaturm & das zweihundertvierundfünfzigste Gedicht

    Olympiaturm München

    Immer noch anderthalb Tage Freizeit, bevor es wieder auf Tour geht.

    Der Parasit

    Der Schatten der Bäume flüstert leise:
    „Leg dich, Dichter, hin zu mir!
    Ich bin alt, erhaben, weise …
    Will in ein Gedicht von dir!“

    „Nun,“ sprach ich, „das lässt sich machen
    Sollst mein Werkeln heut bedachen!“

    Doch dann bin ich eingeschlafen
    In des Zwielichts kühlen Hafen
    Und trotz treu bescherter Träume
    Schrieb ich nie was über Bäume

    Hab mich oft dort rumgetrieben
    Wegen der Behaglichkeit
    Doch sie selbst blieb unbeschrieben

    Das tut mir unsagbar leid


  • Lindenblüte & das zweihundertzweiundfünfzigste Gedicht

    Lindenblüten

    Noch zwei Tage Freizeit, bevor es wieder auf Tour geht.

    Die Linden im Juli

    Mit süßer Schwere benebeln die Nacht
    Die sich spät in den Blütenduft mischenden Linden
    Deren Fertilität mit der üppigsten Macht
    Dampft vor honigem Willen ins Frühlingsentschwinden
    Schon scheint sich ihr Ruch mit der Nacht zu vereinen
    Als Bündnis für die Ewigkeit
    Solch stolzer Duft muss doch was Bleibendes meinen
    Und sich isolieren vom Feldzug der Zeit …?

    Als Wunsch besteht dies, keine Frage
    Im Lindenduft der Juli-Tage
    Doch spürst du in ihm auch das bittere Wissen:
    Du wirst ihn alsbald schon sehr lange vermissen


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