Einakter

Alles, was die zwölf Zeilen überschreitet - aber auch noch nicht an die Länge der Slamgedichte/die Vortragsdauer von drei Minuten (oder mehr) heranreicht.

Außerirdische & das eintausendneunhundertfünfundsiebzigste Gedicht

Elefanten vor der Hochhausnachbarschaft vom Zoo Berlin

Man on Mars

Die Kühle flüstert mir zu,
Ich sei der Erste auf dem Mars.
Minus 63 Grad und du
Sprachst: "Guten Flug, monsieur - das war's!"

Noch verspricht ein Schwerkraftgruß:
"Du wirst dich leichter fühlen!".
Doch am Olympus Monsens Fuß
Wird sich jed Hoffnung verkühlen.

Die Berge werden immer fremder,
Kälter, höher, steiler.
Wer glaubt da an östliches Morgengedämm? Er
Setze mich auf den Verteiler!

Ich errechne noch, wie lang die Jahre nun sind,
Aber mag das Ergebnis nicht seh'n.
Es war ja der Plan, dass ich tunlichst verschwind,
Und nicht, den Planeten,
Den frostwindumwehten,
Mit Forscherelan zu versteh'n.

Jardin Majorelle & das eintausendneunhundertneunundfünfzigste Gedicht

Im Jardin Majorelle in Marrakesch

Nachthand

Sie zog die Hand so plötzlich fort
(Und sie wäre zu halten gewesen).

Zu schuldig am leicht zu verhindernden Mord
Gelobten wir, bald zu genesen.
Doch der Mond, der uns in jener Nacht sacht’ beschien -
Er wächst nicht mehr zu ganzer Fülle,
Kreuzt den Nachthimmel nach unverrückbarer DIN
Und die Taglast belärmt ein Gebrülle
Aus „Wieso?“ und „Warum?“ und „Liebst du mich noch?“
Als drei der dich suchenden Finger
Vorm bleich übers Laken sich spannendem Loch.

Und käsig thront
Über all dem der Mond -
Ein Hüter, doch auch ein Bezwinger.

Middle of E & das eintausendneunhundertsiebenundfünfzigste Gedicht

Essener Hauptbahnhof

Vor abermals verregneten Scheiben

Und mit jedem herbstnen Regenfall
Berichtigt sich mein Blick.

Verschwommen tropft sich auf ein Wall,
Ein unvernomm‘ner Klick
Linkt zurück ins Graueinst - nunmehr ein Idyll.
Behauptet als Raubein, steh stad ich und füll
Die Welt in den Mauern von zu kalten Scheiben
Wie ein verzwergtes Jenseits auf.
Jenes lässt vom Elan sich längst schlechter vertreiben -
Ich nehm‘s als Alter gern in Kauf,
Da das Jetzt wie zum Trotz sich mit Unverstand schmückt,
Eine kindliche Bootsfahrt mich stärker entzückt.

Bis ich dämmrig mich mit diesem Fazit versöhn:
Mein Leben war - nicht ist - noch schön.

Oberbaum & das eintausendneunhundertsechsundfünfzigste Gedicht

U-Bahn auf der Oberbaumbrücke vorm Eierspeicher Universal Gebäude

Dem tapferen Baum an der Warschauer Brücke

Auferstanden aus Ruinen
Und aus Rinden, winterstarr
Zwischen Tram- und S-Bahnschienen
Blühst du auf! Wie jedes Jahr.

Unbeugsame Flowerpower
Trotzt dem eitlen Gammel-Look
Spammt dich auch ein noch so rauer
Degentrifizierungsdruck
Du sagst durch die Blume, unbeirrt
Es freue dich, dass Frühling wird!

Umströmt vom Party-People-Muff
Versumpfter Twens nach Billigsuff
Schluckst du den Touripöbelpiss
Nebst Pennerwein und Tölenschiss
Wirst regelmäßig vollgestrullt
Und unaufhörlich eingelullt
Vom Atzen-Sang von Kevins Miss
Von Studi-Talk und Bullen-Diss
Doch du blühst weiter, unbeirrt
Freust dich halt, dass Frühling wird!

Du konterst mit dem Blütenkleid
Der allgemeinen Hässlichkeit:
"Ich zieh mir heut wat Schicket an
Und frische auf, so gut ich kann!
Ein Frühlingserwachen in ewiger Dreckzeit
Und vielleicht halt' ich durch, bis dass ihr alle weg seid!"

Muss Schönheit auch vergänglich sein -
Ich zähl auf dich, Baum, häng dich rein!

In zwei Wochen ist all dein Zauber verblüht -
So lang sei Oase dem edlen Gemüt!

Fezfalter & das eintausendneunhundertdreiundfünfzigste Gedicht

Schmetterling im Jnan Sbil Park nahe der Medina von Fez

Traumwandler

Sie sagte, es sei ja nur
Ein schlechter Traum, nicht mehr.
Ich widersprach ihr, litt noch stur
Und ward der Lage Herr,
Nun erkennend: Nichts war den Ärger wert.

Nun trennt uns, dass sie unbeschwert
Den Weg, den sie erkannt', auch ging
Und nicht am oft Genannten hing.

Ich denke oft, jetzt wach zu sein.

Ob ich sie vermiss, magst du wissen? Ach, nein -
Ich erinner ihrer ja kaum.
Doch hatte sie recht,
Nichts zählt hier in echt.
Auch sie ist schon nur noch ein Traum.

Gummibäume & das eintausendneunhundertzweiundfünfzigste Gedicht

Reifenhalde in der Nähe vom Waldseiter Hof

Die adventlichen Müllsammler

Der Marabu ist mein Begleiter
Beim Schreiten durch den Müll.
Wir sind umwolkt von Futterneid, ver-
Meiden aber still
Und schweigend, hier Formen der Missgunst zu zeigen -
Uns eint wie entbrüdert, die Kunst abzuzweigen
Von dem, was hierher abgemüllt
Und unsre simplen Mägen füllt,
Seit Bissenwissen uns umweht,
Von dem, was andren obsolet.

Wir teilen als glücklose Stelzvögel hier
Die Früchte der feuchtwarmen Zone.

Uns kümmert nicht mehr, ob da Mensch oder Tier
Ist fremderleuts Herrgottes Sohne.

Südfrüchte & das eintausendneunhundertsiebenundvierzigste Gedicht

Kakibaum am Ufer der Etsch bei Verona

Thermenpoem

Das Dichten unter Nackten ist
Mir recht oft schon gelungen.
Doch heut hat mich, vertrackt nochmal,
Nur Anblick angesprungen,
Der nicht zu überhören war -
Ich frag mich selbst, wie das geschah!

Es zerstörte ne Pofalte hier oder da
Mein versebeflissenes Treiben,
Da empörte ein Mulden entlockendes Haar
Mein sonst so hairoisches Schreiben!

Doch inmitten der Knospen, da spann sich ein Schatten,
Der warb um die rosigsten Worte.
Schien mir auch des Geistes Esprit zu ermatten -
Als Quelltrog der farbreichsten Worte
Sprudelte jene von Nichtlicht und Haut
Neusinnlich glitzernde Sicht.
Die von aller Nacktheit, die ich stumpf beschaut,
Prompt aufblitzt zu einem Gedicht.

Etschufer & das eintausendneunhundertsechsundvierzigste Gedicht

Blick von der Ponte Pietra über die Etsch

Dem Abendroten II

Und immer noch vor mir der See.
Und immer noch ringsum die Güte,
Das Lächeln, das ich nun versteh
Und rundum tief in mir behüte.

Doch die Macht,
Mit der Sanftmut die Wellen bezwingt
Und den See unabänderlich glättet,
Stärkt die Nacht,
Die in alle Erinnerung dringt.

Was ich an Geschichten gerettet,
Treibt weit in die Zweifel,
Schon nicht mehr zu stimmen.

Und ich bin dieses Jahr schon zu spät dran fürs Schwimmen.

Kunstlabor 2 & das eintausendneunhundertfünfunddreißigste Gedicht

Erster Raum vom Kunstlabor 2

Begrüßungsgedicht für eine Lesung im Humboldt-Lab im neuen Humboldt-Forum Berlin

Oh Gott, wo bin ich denn hier nun gelandet?

... wo bin ich, zur Hölle, denn hier nun gela-
Lalalalabor, Laboah!, Lapoah?, Laoahhh ...
Entschlossen forschend kommt‘s mir vor
Als fehlte jetzt nur noch ein My an Verständnis,
Als kratzten die Fingerchen schon die Erkenntnis,
Als hörten bereits wir den Widerhall
Vom „Mr. God, tear down this wall!“
Wir wollen das Dahinter seh‘n,
Es einzuordnen ins Versteh‘n,
Bejubeln unser Anschlusstor,
Das endlich frei gespülte Rohr!
Unser Weg aus dem Labyrinth führt durchs Labor ...
Verfolgt von einem Labrador!
Der schnappt nach Erste-Welt-Komfort
Und Nach der Natur
Auch nach unsrer Statur - Humm!
Drum: Machen wir uns ganz, ganz klein,
Woll‘n statt Labor nur Lab noch sein!
Lab, Lab, Lab, Lab, Lab - Humm!boldt
Lab top! Top Lab und Top-Labor,
La biere, la boom und Laber-Chor,
Labiles Schlappohr und Labskaus,
Schloss jetzt!
Schluss jetzt!
Ab und
Aus!

Basilika & das eintausendneunhundertsiebzehnte Gedicht

Basilika der Ausgrabungsstätte Volubilis

Der verspätete Frühjahrsputz

Es war so, dass
Wir beim großen Frühjahrsputz nur

Ein paar Spinnen die Netze zerstörten.
Wir inhalierten Hausstaub pur,
Wir kauten wohin wir gehörten
Und war'n schweißnass.
Es war ja so:

Da eine nahe Bess'rung glomm
Aus dem Fakt, dass wir uns so bemühten,
Erglaubten wir uns stur wie fromm:
"Noch nicht Sichtbares lässt sich erbrüten!".
Von irgendwo

Rief plötzlich vermeintliche Reinlichkeit "Schnapp!" -
Wir jubelten einig und klatschten uns ab.

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