Einakter

Alles, was die zwölf Zeilen überschreitet - aber auch noch nicht an die Länge der Slamgedichte/die Vortragsdauer von drei Minuten (oder mehr) heranreicht.

Chemnitz & das hundertvierundfünfzigste Gedicht

Chemnitz

Und nun wirklich: Chemnitz.

Geheimnisvolles Chemnitz

Als ICE-Halt abgeprallt
Umgeben von diffusem Wald
Liegt Chemnitz da, man weiß nicht wo
Nicht, wie's dort ausschaut - sowieso

Ach, Fremder, solltest nicht erwarten
Dir würde man nun mehr verraten
Es raunt die Stadt geheimnisvoll:
"Ja, is' hier wirklich nich' so toll!"

Denn würde man
Mal irgendwann
Was Chemnitz' Reize bieten, zeigen
Würd'n zeitnah auch die Mieten steigen

So hüllt man Insel, Park und See
Im Schrecken vom Betonklischee
Mit leergepafftem Schornsteinschlund
(Scheint einer auch entwaffnend bunt)
Gilt gern als "Bäh!" und dankt der Welt
Dass nie ein ICE hier hält

Sardinien & das hundertsechsunddreißigste Gedicht

Bahnfahrt Sardinien

Angekommen.

Das Landen auf Inseln

Wenn die Linie der Küste sich sichtbar erstreckt
Und das Meer türkisgrünend den Gelbrand beleckt
Querst du erstmal das Füllhorn an landiger Masse
(Sofern du nicht falschseitig ohne Gewähr bist
Nur siehst, dass das Meer halt noch immer ein Meer ist)
Was hieraufhin folgt, ist 'ne bauchmulmig krasse
Kurve, durch die Meer und Himmel verschwimmen
Im taumelnden Glauben, dies möge so stimmen
Fliegt man schiefer und schiefer
Und taucht immer tiefer
Dann macht die Maschine recht fremde Geräusche
Ist das noch in Ordnung? Klingt nicht so - ich täusche
Mich da hoffentlich ... und: ja!
Hier ist der Boden, wir sind da.

100 Tage & das hundertzweiunddreißigste Gedicht

Helsinki Achterbahn

100 Tage des neuen Jahres - und meiner Slam-Abschiedstour sind vergangen. Schnell, finde ich. Ein Foto aus Helsinki als Blick zurück.

Hundert, immer schon

Verwundert
Blick' ich auf die hundert
Nunmehr schon vergang'nen Jahre
Die ich im Gewirr der Strecken
Stimmungstiefen abzustecken
Durch die Republiken fahre

Vermindert
Gleichwohl ungehindert
Schleichen sich die Schlussakkorde
An die unverändert breiten
Hürden der Beständigkeiten
Fähig zum Tyrannenmord

Verwundet und vermint
Sind Weggefährten, Wege
Was nur dem Stillstand dient
Der tatverblassten Hege

Schären & das hundertfünfundzwanzigste Gedicht

Schären

Noch mehr vom Vortage: Schärenmaterial.

Die Felsen der Schären

Diese unverwandt wasserhervorigen Steine
Sind seltsam glatt und weichgestalt
Beinahe organischen Ursprungs. Ich meine
Auch, dass sich bei Sonnenbescheinung recht bald
Aus dem Innersten mählich die Steinhaut erwärmt
Und Grad um Grad Körper die Poren beschwärmt
Das kenn' ich von Reptilien
Die bis zum Temp'raturbehag
Strecken sich zur Sonne hin
Erst dann bereit sind für den Tag

Nennt mich sehr gern einen Voll-Übertreiber
Doch vielleicht sind's versteinerte Saurierleiber!?
Diese Felsen in Wasser und sonnigem Scheine
Sind einfach zu seltsam für "einfach nur Steine"

Aber irgendwas müssen die Felsen ja sein
Vielleicht also Saurier. Gefällt euch das? Nein?

Drei Monate & das hundertundfünfzehnte Gedicht

Wald Marienbad

Drei Monate der Abschiedstour sind rum. Bleiben noch neun Monate und keinerlei Gründe zur Trauer.

Drei von zwölf

Für nur ein Viertel Abschied vergieß ich keine Träne
Fünfundzwanzig Prozent? Also, ... nee!
Is' nich ma ein Drittel, errechne ich, gähne
Das dauert noch viel, viel zu lang, eh ich geh
Es zieht sich und zieht sich - wie ein Stalaktit, ich
Habe den Eindruck, es geht nicht vorbei
Die Hälfte der Hälfte - dann noch mal das selbe
Die Restzeit vergärt schon zur "Tschüss!"-Narretei

Und ist die erst geschluckt, kau ich weiter hier, gähne
Dann ist mir der Abschied doch längstens vertraut
So lasse - wie heute - ich ab von der Träne
Sei das Häuschen am Wasser für andre gebaut

Es fällt ein Abschied uns fast leicht
Wenn trotz der Zeit
Die Endlichkeit
Nie vollends der Bewusstheit weicht

Taubenschlag & das hundertundvierzehnte Gedicht

Tauben aus Amsterdam

Ein Gedicht zur Rehabilitation der Taube.

Die Tauben und wir

Was hat dich die Taube zu hassen gelernt
Dein Schnurren so krass weit vom Gurren entfernt?

Wann störte uns jemals die ungalante
Trippelpickend dicke Tante
Dass man diesen Vogel so kregel unliked
Und nur noch Ekel in uns aufsteigt
Wenn der ungeschickt Flatternde knapp uns verfehlt
Aus dem Garten der Grazie die Unformen wählt?

So erscheint uns ihr Flug nie ganz Vogel genug
Übt die Taube am Zauber des Fliegens Betrug
Ist mehr hektischer Zweck denn ein lautloses Schweben
Ihr geht's nicht um Freiheit, sie will überleben
Sie ziert sich nicht, in unsrer Nähe zu nisten
In Dreck und in Unrat ihr Dasein zu fristen

Nun, wenn der Mensch ein Vogel wär'
Käm' er dieser Spezies vor anderen näh'r

Uns schmeichelte fraglos das Grau der Taube
Das suchende Huschen und Kreuchen im Staube
Auch in puncto Plumpheit gäb's null Differenzen
Nur am Hals würden wir dann wohl nicht so schön glänzen

Marienbad & das hundertundzwölfte Gedicht

Marienbad

Ein Lob dem Schaumbad aus der Bademantelzone Mariánské Lázně.

Im Bade

Ich lass mich von dir ganz umfließen
Du sollst mir Raum, nicht Wasser sein
Wie ließe sich das Selbst genießen
Wenn nicht getunkt in Wärme rein-
-er Duftschauminseltauchstationen?
Dort schweigt die Stille von Äonen
Schon flieht die Hektik des Tages, geschlagen
Und mit ihr die Hektik von anderen Tagen

Man weiß
Die nahende Kälte erahnend
Dies Glück kann nicht von Dauer sein
So preis'
Die labende Gnade des Badens
Und sinke tief, tief in ihr ein

Marionettentheater & das hundertundzehnte Gedicht

Marionetten aus dem Marionettentheater München

Aus dem Marionettentheater München. Sind wir nicht alle ein bisschen ...?

Der Gehängte

Auch tot hänge ich noch am seidenen Faden
Und daran hinab seil'n sich seibernde Maden
Drängen und zwängen sich in meinen Nacken
Um dem baumelnden Körper Gewicht zu entschlacken
Der sackig, fahl und eingefallen
Strebt Schwerkraft suchend mit den prallen
Leichensaft gefüllten Zehen
Weiters Richtung Niedergehen

So häng' ich nun vielleicht seit Wochen

Und hab noch nie so streng gerochen

'S ist gut verpackt, was ich einst hatte

In jene Schlinge der letzten Krawatte

Und raffte auch hin ich am ästhetischen Leide

Sie zumindest ist aus Seide

Osterspaziergang & das hundertundneunte Gedicht

Osterseen

Über Ostern Pause gemacht. Auch hier im Blog. Und dennoch an Euch gedacht:

Ostersuche

Tradiert durch Gottes Kind und Sohn
Drapier ich meinen Finderlohn
Mit aus Ritzen stibitzten Eier-Color
Das der Hase, der nächtens im Weiher erfror
Dort sorgsam für seine Würfe gehortet
'S ward von mir gierig mit Spürsinn geortet
Und auch der Kakaomassenhohlraumfigur
Kam ich schlussendlich auf die Spur
Steckt da, in des Leichnams Backentaschen
Noch lecker süßer Kram zum Naschen?
Ist das, was zuletzt seinen Magen gefüllt
Eventuell von Schokolade umhüllt?
Ich geb' keine Ruh, bis ich jedes entdecke
Der Schleckerei'n trächtigen Hasenverstecke!

Doch den Beutezug werd' zum Dekors ich drapieren
Und klug schaff' ich in meinem Nest
Ein Plätzchen, um drinnen den Sinn zu zentrieren
Von dem ich träume, treu und fest
Denn
Jede Suche macht nur Sinn, wenn
Wir in ihr was andres finden

Amsterdam & das hundertundzweite Gedicht

Gassen Amsterdam

Mit gewogenen Grüßen aus Amsterdam.

Mähliche Engelnähe

Ich kann nun mal nicht ändern, dass
Ich ständig ans Gemächt mir fass'
Erst dann füll' deine Kaffeetass'
Ich mach' das alles nicht zum Spaß!

Die Welt ist halt kein Wunschkonzert
Und manches läuft hier grundverkehrt

Es sind Massen betroffen von Hunger und Kriegen
Wie soll ein Poet all dies Elend besiegen?

Doch, Baby, lass dir deinen Glauben
An eine bessre Welt nicht rauben!
Ich finde es bewundernswert
Wie dich dein Optimismus ehrt

Und klebt auch jetzt noch dann und wann
Am Tassenrand ein Sackhaar dran
Ich stopp das - eines Tages, maybe
Wir können Dinge ändern, Baby!

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