Einakter

Alles, was die zwölf Zeilen überschreitet - aber auch noch nicht an die Länge der Slamgedichte/die Vortragsdauer von drei Minuten (oder mehr) heranreicht.

Doha Airport & das zweitausendeinhundertdreiundneunzigste Gedicht

Dem Gähnen

Die letzten Kostbarkeiten blinken
Im zur Rarität schwindenden Alltagsmoment
Und egal, wie gelöst wir aufs Wohl von uns trinken -
Es löscht nicht den Fakt, dass die Zündschnur längst brennt.

Gönnt euch diesen Tränenquell, Freunde! Ihr wisst es:
Das Gähnen von heut ist ein bald schon Vermisstes.

Doch letzte Kostbarkeiten laden
Uns diesen Tags noch zu Umarmungen ein
Und wir singen den Schlager von Fräul‘n Helens Waden,
Woll‘n der Jukebox den Sprung in der Platte verzeih‘n.

Gönnt euch diesen Tränenquell, Freunde! Ihr wisst es:
Das Gähnen von heut ist ein bald schon Vermisstes.

Nun gilt hier keinem mehr als kostbar,
Was zu unserer Zeit auch nur landläufig war.
Wir zwängen den Trott zwischen Hostie und Popstar
Und beugen uns aller Verklärungsgefahr.

Gönnt euch diesen Tränenquell, Freunde! Ihr wisst es:
Das Gähnen von heut ist ein bald schon Vermisstes.

Wittelsbacherplatz & das zweitausendeinhundertachtundsiebzigste Gedicht

Fotoausstellung am Wittelsbacher Platz

Münchner Spätherbstsommertag

Hochselig sprüht Genügsamkeit,
Wo Münchner heut flanieren,
Sprotzt vor gesotten satter Zeit,
Hilft feist beim Herbst-Negieren.

Und jeden freut's in Warteschlangen
Brav sich einzureihen.
Klar, teuer wird's, doch s'wird auch langen!
Keinesfalls zu zeihen
Wär, dieses werte Wetterglück
Nicht vollends auszunutzen
Und dann der Wolkenfront verzük-
Kungssturköpfig zu trutzen!

Durch München schwelgt der schöne Schwur:
Es kann uns nichts passieren!
Jed Dämpfer lädt zur Wellnesskur,
Zum ungestüm Flanieren.

Eine von 6.700 & das zweitausendeinhundertvierundsechzigste Gedicht

Felsen in der 6.700-Inselwelt von Aland

(...) II

Ich liege bar in einem Strom - 
Nur Himmelblau und Wolken. 
Beim Reset auf mein Erstgenom 
Werd ich vom Fluss gemolken.
Ein sprudelnd Dudeldiedelei 
Bespült und kühlt mein Köpfchen high - 
Nur Himmelblau und Wolken.
Und nun ersäuft's mir allen Reim 
Im murmelndgurgelnden Daheim - 
Nur Himmelblau und Wolken. 

Es umströmt und umströmen mich Reinheit und Klarheit 
Wie göttlich zur Wurzel gereichende Wahrheit  - 
Nur Himmelblau und Wolken. 

Bis Narrenhandwerk, ungeübt,
Den Fluss zu solch Erkenntnis trübt,
Das stolz zu dies erlaubt sich glaubt
Und sich im Raubbau selbst beraubt,
Im Immergrau der Wolken.

Ausarbeitung/Fortsetzung vom gleichnamigen Text vom 22. Juli 2022

ABBA & das zweitausendeinhundertsiebenundvierzigste Gedicht

Im Abba-Museum Stockholm

Im ABBA-Museum

Der Vorwurf des Allzu-Gemachten
Rinnt dahin im Schon-längstens-gemacht.
Ein Chorus des einstmals Verlachten
Schien heut Abend von Grund auf durchdacht
Und wird es am morgigen Tage noch sein -
Verhallt ist allein
Mein schon sehr altes „Nein!“.
Und froh begrüßt kehrt Ruhe ein,
Beweis meiner Gelassenheit
(Derweil noch wer „Mehr Hassen!“ schreit).

Von Niederlage zu reden, befind ich,
Wär schlichtweg sehr unangemessen.
Auch tanzend verbleibt mir jed Grundsatz verbindlich -
Die Härte allein ist vergessen.

Willkommen Bratislava & das zweitausendeinhunderterste Gedicht

Stadtwappen in der altstadt von Bratislava

Die Schnurren der Copycats

Wer hat da mit meinem Mündchen gegessen?
Wer hat mit meinem Durst geschlürft?
Wer hat hier mit meinem Maßstab gemessen?
Und wer hat gesagt, dass ihr all dieses dürft?

Wer hat mit meinem Riecher gerochen?
Wer hat so früh meine Koffer gepackt?
Niemand von euch fühlt sich angesprochen?!
Vorsicht, Folks - ich glaub, es hackt!

Wer hat da grad mein Gedächtnis verloren?
Wer hat hier frech meine Story kopiert?
Wer wurd zum Ziel meiner Preise erkoren?
Wer hofft, dass das eh keine Sau interessiert?

Wer hat sich stumm in mein Bettchen gelegt?
Wer hat diesem Häuschen Besitz ausgefegt?
Wer ist fortan meiner Reise Begleiter?

Der schreibe selber mein Textchen nun weiter!

Förchensee & das zweitausendvierundneunzigste Gedicht

Blick über den Förchensee bei Ruhpolding

Im Endspurt des Streunens

Nirgends zuhause
Und doch nichts vermissend.
Mir zeigt sich jed Bau
Fundamenteunwissend -
Und ich zeig entsprechend zurück!

Zeichen vertrauend,
Scheint Suche mir lässlich.
Ein endloser Stau
Potenziert sich ins Grässlich -
Derweil ich die Zeit überbrück.

Wann ließ das Verlangen vom Glück?
Und was bestimmt, was man vergisst?
Fernab vom Traulich,
Nirgends zuhaus: ich -
Leider auch nirgends vermisst.

Nachmieter & das zweitausendsiebenundsiebzigste Gedicht

Einer der von neuen Mietern genutzten Stadtpaläste Havannas

Havannas Paläste in der Wiederverwertung

Es ist, scheint's, die Gerechtigkeit
Nicht sehr erpicht auf stilgerecht.
Zunächst vergeht doch sehr viel Zeit,
Dann muss es schnell geh'n - oft wird's schlecht.

Man schaut auf alter Prachts Verfall
Als das, was wir erstritten -
Verwittert mit im Abgasschwall
Längst ausrangierter Schlitten.

Man restauriert ein Überall
In stets zu kleinen Schritten
Und überhört den Widerhall,
Wie hart man einst gelitten.

Bewerten wir Gerechtigkeit
Bisweilen etwas ungerecht -
So, weil halt Optik sehr laut schreit,
Wenn man zu viel an Schönheit blecht.

Am Grubsee & das zweitausendachtundvierzigste Gedicht

Am winterlichen Grubsee

Laudatio für ZwaSpraSpie

Unter Zugzwang mich die Zwanzig setzt,
mir flugs zu wahr'n die Chance sich jetzt
zu bedanken für die stets geschätz-

-ten Sprachspielereien im Briefkastenschlitz!
Wo Lacher gedeihen mit tieferen Witz,
bedacht von Stil- wie Geistbesitz.

Da wird ein Vers frei von der Leber gefegt,
ein Anagram anders zusammengelegt,
dort ein Palindrom paarig aus Wortlust zersägt,
dann durchcruist man 'nen Ort, den ein Limerick prägt.

Mal werden die Reime aus Eimern geschüttelt,
mal augenverführt von der Brechstang' durchrüttelt,
mal sprüht's aus bislang unbekannten
anverwandten Varianten.

Neunzehnmal (nun, das galt zumindest bis heute)
ward klar mir, dass ich was Enormes erbeute
Beim Lesen der Saat Deiner formtreuen Meute!

Und außerdem ... - schon fällt das Layout die Schranke!
Zwei Silben noch, Nora, ich bitte Dich: Danke.

Durchblick & das zweitausendvierzigste Gedicht

Blick auf Schloss Spiez

Zum Loch im Schritt meiner Lieblingsbuxe

Es leistet die Hose grad da sich ein Loch,
Wo auch meine Unterbux leckt.
So zeigt sich falthaarig ein Sackstückchen noch,
Obschon rundum doppelt bedeckt.

Doch, Freunde, vielleicht gibt's im Rund dieser Welt
Zehn Menschen, den'n solche Entblößung gefällt!?
Die mit jener Entdeckung Schwung
Nebst Mannschaftsportsbegeisterung
Beschließen, zum Team sich zusammenzuschließen,
Und mit mir trainieren das Fußbälleschießen!?
Wir hangeln uns von Sieg zu Sieg
Hin zum Gewinn der Champions League!
Und in Interviews wird oft gefragt, wie es kam,
Dass sich diese Mannschaft formierte -
Dann wühle ich just den Teil Sack aus der Scham,
Der einst durch mein Hosenloch stierte.

Ein Augenblick Hoden - wie kurz auch - vermag,
Den Lauf aller Bälle zu ändern ...
Zeig dich unbeeindruckt von Moden und trag
Mit Stolz den Verfall von Gewändern!

Nur du konterst bar der Erkenntnis vom Zweck:
"Jetzt echt: Diese Hose - wirf endlich mal weg!"

Mole Antonelliana & das zweitausendsechsunddreißigste Gedicht

Blick auf die Mole Antonelliana, dem Wahrzeichen von Turin

Sisyphos unterwegs

Maske, Perso, Impfnachweis -
Irgendetwas vergesse ich immer!
Es stresst mich mein Verschusselfleiß -
Und das wird stetig schlimmer.

Je länger die Liste vergessbarer Dinge,
So bängrer wird mir, dass ich es nicht vollbringe,
Vier Schritte vor das Haus zu geh'n
Und nicht gleich wieder umzudreh'n,
Weil ich, Geld, Handy, Stift oder Tickets vermissend
(und meinen Verstand ob solch Leerstellen dissend),
Fünf Stockwerke rauf muss, zur Wohnung zurück.

Bis ich einst kapier, schier verzweifelnd vor Glück:
"Ich hab meinen Schlüssel ja gar nicht dabei!"

Das wär meine Chance, denn dann wäre ich frei!

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