Einakter

Alles, was die zwölf Zeilen überschreitet - aber auch noch nicht an die Länge der Slamgedichte/die Vortragsdauer von drei Minuten (oder mehr) heranreicht.

Oide Wies'n & das zweitausenddreihundertundzwanzigste Gedicht

Im Museumszelt der „Historischen Gesellschaft Bayerischer Schausteller e.V.“

Zwischengeschlechtliches

Wie hab ich seibernd dreingeluchst,
Wo sie statt unter- ungebuxt
Ihr wabernd "so ist recht"-Geschlecht
Reich frei entfaltet ausgeflächt,
Als sei 'ne Reihe von Rekorden
Für neue Ären einzunorden.

Hab so stark drauf- wie dreingeäugt,
Dass jetzt voll Gram mein Blick sich beugt
Und nach solch warmen Halten sucht,
Die spaltenarme Zeit verflucht -
Als sei die Folge von Genüssen,
Dass Weitre weiters folgen müssen,
Um seinen Pegel auch zu halten
(und in der Regel geht's um Spalten).

Doch heut, vor dir zu sehr bebuxten
Schaff ich's nicht mal zur verdrucksten
"Magst du dich ma auszieh'n?"-Frage
Für die Mild'rung meiner Lage.
Ich witt're hier klar ein Gebiet,
Das unenthüllt mich runterzieht -
Anstatt du's mit dem Büxlein tust!

Worauf des Glücks Verzückt-Sein fußt.
Magst du gemäß solch' Sehnen
Die Hosenbünde dehnen?

Abflugbereitschaft & das zweitausenddreihundertundzwölfte Gedicht

Unsere an die Gentrifizierung verlorene Wohnung in der Tengstraße 4.

Die Nachmieter

Schon sitzt die Waffenindustrie
Bei mir auf dem Balkon
Ich war so sehr "Mich trifft es nie!" -
Das hat man nun davon!

Die wringt jetzt bald ihr Pimmilein
In den verwaisten Bottich
Und etabliert das Unverzeih'n,
Malt alle Zukunft grottig.

Schon sitzt die Rüstungsindustrie
In meiner schnieken Wanne -
Zwar abgetaucht, doch sicher nie-
Mals eingeschäumt vom Funne,
Denn wir einst lieblich ausgekost'.

Jetzt bürstet sich der Rüstungsrost
An Herrn von Zu'stens Pimmilein.

Ich wärm mich an mein' ärmlich' "Nein!".

Wenn brünftig Euch auch Segen narrt,
Ihr Günstlinge der Gegenwart:
Das, was ihr mir genommen,
Berangt ihr nicht,
Verzwangt ihr nicht -
Ihr werdet's nie bekommen!

Paketposthalle & das zweitausendzweihundertfünfundneunzigste Gedicht

Die ehemalige Paketposthalle nordöstlich der Friedenheimer Brücke

Die Ansprache (Etappe 2: Unausgesprochenes)

Teil des Großgedichts "Hier ruht unsre viel zu früh von uns geschiedene Dorothee-Cosima")

Ein Balsam von Wörtern ergießt sich in Worte
Und hinter uns schließt sich Elysiums Pforte.
Oh, könnte ich sie bloß versteh'n -
Oh, Cosima! Oh, Dorotheen!
Jedoch die Wucht der Sehnsucht raubt
Mir alle Sprache aus dem Haupt -
Und den Versuch, sich auszutauschen
Umwuchert rasch ein Sinnesrauschen.

Jener warme Wind Ihrer Wortproduktion
Ist All wie -gegenwärtig -
Er strahlt auf mich Vasallenlohn -,
Dies Adressat-Sein ehrt mich!

Doch nun, da Ihr mich angesprochen,
Hab' ich doch nicht grundlos hier Lunte gerochen?!
Schon kann mein Begehr'n alten Träumen nicht gleichen -
Vordem Unerreichbares will nicht mehr reichen!
Der Traum muss Exzess sein – er koste, was wolle!

Im steten Erheben beim Streben nach mehr
Entreißt's alle Rösslein vom Zaum der Kontrolle -
Was stillt ihren Willen und wo nehm' ich's her?!
Ermächtigt sich Unflat des weit'ren Betragens? -
Das ist im Behagen die Frage des Fragens!

Die Räudigkeit solcher Gedanken bereuend,
Doch weitere Hürden und Schranken nicht scheuend,
Kann ich nach Geneigtheit verheißenden Zeichen
Nicht unversuchend von Euch weichen!

Will nicht ein schaurig-schwüler Duft
Grad Eurem Kleid entsteigen?!
Ist's nicht, dass süß das Schößlein ruft,
In Blöße sich zu zeigen?!

Vielleicht lenkt mich ein Missversteh'n -
Ganz sicher ist's mir anzuseh'n,
Oh, Cosima! Oh, Dorotheen!
Der Bindestrich entwindet sich
Und nennt sich fortan Trennungsstrich.
Er bricht unser Gesprächlein ab,
Stößt jäh mich Elenden ins Grab!

Zwei edlen Namen galt mein Sehnen -
Und jeder wähnt mich abzulehnen!
So endet alles offenbar,
Oh, Dorothee! Oh, Cosima!
Ein Mehr an Verkehr werdet Ihr mir nicht schenken -
So bleibt nur, dies selbst mir zusammenzudenken!

Neubeginn & das zweitausendzweihundertvierundneunzigste Gedicht

Wasserhühnchennachwuchs am Schliersee

Der Anblick (Etappe 1: Vorherzusehendes)

Teil des Großgedichts "Hier ruht unsre viel zu früh von uns geschiedene Dorothee-Cosima"

Ein duftiger Anblick ist ihre Haut,
So sondergleich und eben,
So bis zum Anschlag aufgefraut -
Mein Herzschlag naht dem Beben!

Es tuscht die Wangen rosigrot,
Wenn unsre Blicke kreuzen -
Welch Abgrund und welch tosend' Not,
Wie's ruft aus feuchten Käuzen,
Die aus dem Tagschlaf wachgerupft
Schreckgroßäugig urplötzen!
Karnickelig mein Herz durchhupft
Der Drang, sich zu ergötzen.

Oh, Dorothee! Oh, Cosima!
So fröstelndmollig unnahbar
Nehm' ich Euch ungebeten wahr
Und Ihr mich in Gewahrsam,
Wo ich gefährlich wehrlos bin -
So hin und weg, so weg und hin,
So reich beschenkt wie sparsam.

Wie wird mir nur? Wie an der Schnur
Verrinnt mein Sein zu Körper pur -
Absonderlich wie sonderbar,
Oh, Dorothee - oh, Cosima!
Ihr Doppelnamenbindestrich
Macht folgsam zum Gesinde mich ...

Mit Euch verbindlich anzubandeln?
Trotz der Ehrfurcht vorm sperrigen Namensgeflecht?
Welch Anmaßungsgrad würd' solch' Plane gerecht -
Müsst nicht die Welt sich wandeln?

Doch dies' Spürchen an Hoffnung zieht mich in den Bann -
Dann schürzt sie die Lippen und, Gott!, spricht mich an!

Hasengraben & das zweitausendzweihundertfünfundachtzigste Gedicht

Der Hasengraben zum Heiligen See im Neuen Garten Potsdam

Retro

Die Sitzecke hat ausgedient,
Die Polster fast zerschlissen,
Die Schrankwand hält den Raum vermint,
Im Sofa schlummern Kissen.

Der Mensch, der für ihr Muster sich
Einst generös entschieden,
Sieht nun mit Stolz, dass nichts verblich,
Nur nicht mehr von hienieden.

Es schlummern hinterm Einbauschrank
Der Ersttapete Reste.
Auch hier schwor man auf sich're Bank -
Zum Einzug nur das Beste!

"Modern trotz Minimaletat"
Ätzt's jetzt aus Hausverwaltern.

Der letzte Klecks von "wie's mal war"
Darf hier in Ruhe altern.

Stuttgart 21 in 23 & das zweitausendzweihundertdreiundachtzigste Gedicht

Restfassade vom Stuttgarter Bahnhof

Gedanken beim Hotelfrühstück

Ist ein dreckiger Tisch nur ein Muster der Dinge,
Die ich früher verachtete, maßlos, als hinge
Ich einzig daran, dass hier Maßstäbe gelten
Als ewig in stetig sich wandelnden Welten?
Denn randlos gespannt überwachen die Weiten
Des spannungsarm Wahren die Unmöglichkeiten.

Schon erspäh ich ein von mir Behasstes,
Nie vorbehaltlos Angefasstes,
Im Schoße recht geschätzter Leute -
Was, auch wenn ich mir's schadlos deute,
Mir meines Urteils Schärfe nimmt,
Wie aufgelöst im Unbestimmt.

Ein Kosmos fremder Sympathien
Bewegt sich ins Entfalten.

Oft straft die Zeit als unverzieh'n,
Am Alten festzuhalten.

Coronation & das zweitausendzweihundertneunundsiebzigste Gedicht

The Mall vorm Coronation Day

Coronation of Charles III

Coronation nach Corona,
Buckinghampalastbewohner,
Schickercharles heut chic in Schale,
Rant am Rand tauft man Randale.

Fahnenfans erahn'n Fanfaren,
Chartern schon die Charts der Scharen -
Alles will Begeisterung!
Alles sagt sich: "Na, so jung
Krönen wir nicht mehr zusammen!"

Gewöhnt man sich erst an die Schrammen,
Versiegen Insignien, einst geliebt,
Ins Resignieren: "Tja, dann gibt
Der Vater seinem erstbesten Sohne
Das Erbe bald halt ohne Krone!"

Und fast ohne Stolz in der Betonung, i say:
"The latest coronation-day
War vielleicht schon the last -
Und myself war dabei -
And i bought souvenirs of King Charles, Nummer Drei!"

Vedado & das zweitausendzweihundertachtundsechzigste Gedicht

Am Malecon in Verdado

Lost in Havanna

Aus dem Dunkel der Winkel lockt's hektisch:
"An Anhaltspunkt: Alter, versteck disch!"
Plötzlich löscht alle Richtung sich aus meinem Weg,
Orientierung verrinnt, schon ist Licht Privileg.
Wie rasend schabt sich Resignieren
In mein früh'res Souverän,
Ich muss Verirrtheit konstatieren,
Fahrigflach lass ich mich geh'n.

Vor Demut ob der Gassen Massen Macht
Geh ich zurück zu sich'rem Ursprung.
Rasselnd japst es in mir sacht:
"Warst grad ganz schön aus der Spur, Jung!"

Doch ein Blick auf den Stadtplan am Morgen beweist:
Ich habe mein Ziel einfach sehr gut umkreist.

Energieträger & das zweitausendzweihunderteinundsechzigste Gedicht

Strommasten bei Jibacoa

Gereifter Kinderdank

Danke für die manchmal nur stoisch
Gedankenabwandernd
Ab und an versandenden,
Dann rauschbelauschten Worte.
Es sind alle Kinder so minderheroisch,
Niemals zeitlich verfrüht,
Doch bald reiflich bemüht,
Um das Schmieren der ihrigen Pforte
Zurück
In das Glück
Vom noch mind'ren Bewusstsein.
Alles schlendert gen Schluss vom Gewusst in Verlust ein
Und nichts in der Welt setzt sich an jene Stelle
Dieser rüglosgenügsam verfügbaren Quelle.

Carolina & das zweitausendzweihundertachtundfünfzigste Gedicht

Blühender Pseudobombax ellipticum und Antillengrackel

Strg + V, analog

Nach monitorbeschienener Zuhausebleiberei
Bin ich jetzt vom Empfang erlöst und sowas von dabei.
Und jeder Tropfen Blut in mir
Verneunfacht seine Stärke,
Es strömt sich eine Flut ins Hier
Voll neu erdachter Werke.

Weshalb hab ich mich je entwöhnt
Vom längst gewussten How-to-do?
Warum bloß hab ich mir verpönt
Das "Heute schau ich nur mal zu!"?

Je weiter ich nach draußen drift',
Je mehr erfasst mich Sinn,
Ich tippe nur noch via Stift
Ins echte Mittendrin.

Alle Rechte bei Katja Reichert-Bloch, für die das Gedicht im Rahmen der Kuba-Spendenaktion 2023 von mir gekauft wurde.

Seiten

RSS - Einakter abonnieren