Achtzeiler

Wartburgtauben & das eintausendeinhundertsiebenundneunzigste Gedicht

Taubenschlag auf der Wartburg in Eisenach

Und weil man langgediente Lesebühnengefährten nicht ohne gehen lässt, ein ...

Abschiedsgedicht für Till Reiners

Till ist im Grunde kein richtiger Name -
Nur 'ne Silbe, die lieblos in Pässe geschissen.
Doch wenn im halb gefillten Darme
Dich drillt einer MILFs Fist,
Du stillschweigend Dill frisst,
'ne Pill' keine Hilf' ist,
Ein Will' Einweg-Mill ist -
Was gäb' man nicht her für ein Reiners Gewissen!?

Nordstraße & das eintausendeinhundertsechsundneunzigste Gedicht

Nordstraße in Arnstadt (unser Quartier)

Rastlos

Immer muss ich mein Heimatdorf hinter mir lassen.
Niemand stürmt auf das Gleis um zu winken.
Immer muss ich mich mit nächstem Nestbau befassen
Und mich einsam wie sinnlos betrinken.

Ich zähle tagtäglich die schwereren Fehler
(hab mich und mein Elend da niemals geschont),
Verkauf meinen Hausstand an erstbeste Hehler
Und jeder Ort sagt: Du hast nirgends gewohnt!

Wartburg & das eintausendeinhundertvierundneunzigste Gedicht

Die Wartburg in Eisenach

Überbewältigung

Nun, das hat die Zeit einfach verschwinden lassen
Unter den Mantel des Schweigens.
Den Eindruck könn'n Nachrücker nur noch verpassen
Im Kanon des neuen Vergeigens.

Doch wie vielem gebührt es, Vermisstes zu sein
Und was kürt man als Beifang nur mit?
Das Unwerte deiner Vergangenheit ist ein
Dich mit Gegenwart prügelnder Tritt.

Altenberg & das eintausendeinhundertdreiundneunzigste Gedicht

Zentrum Altenberg in Oberhausen

Letzte Nachricht aus der Verbannung

Keine Nachrichten mehr aus der Verbannung
Und das Grübeln im Felde stirbt aus.
Für den Lohn einer falschen Entspannung
Loopt ums Weltbild ein scharfer Applaus.

Das entwaffnende Bild einer Klarheit
Übertönt, was per se überhört.

Darin tollt ein Versprechen von Wahrheit
Und tilgt aus, was man hierfür zerstört.

Themengärten & das eintausendeinhunderteinundneunzigste Gedicht

Im Botanischen Garten am Münsteraner Schloss

Wer?

Wann strandete ich vor solch steilen Klippen
Mit meinem als Schoner bezeichneten Boot,
Um jäh von der Kante zur Seite zu kippen?
Wann wand sich der Ausgleich vom pendelnden Lot?

Wann hat man klammheimlich die Lager geräumt,
Sich erlaubt zu vertau'n meine missliche Lage?
Wann hat man das Salz aus den Trümmern geschäumt?
Ist überhaupt "Wann?" die mich kümmernde Frage?

Schlossgarten & das eintausendeinhundertsiebenundachtzigste Gedicht

Im Botanischen Garten am Münsteraner Schloss

Verloren

Ich würd' fortan lieber in Schönheit mich ausruh'n,
Mich fläzen im reibungslosedlen Daheim!
Und was ich noch täte - ich könnt's im Zuhaus' tun
Und freut' mich gemütlich am formschönen Reim.
Ich ging' nie alleine und zeitig zu Bett,
Entnabelt auch vom Internet.

Ich hab' einen Platz für ein besseres Leben,

Doch platzier' meine Herzschläge immer daneben.

Neuaufbau & das eintausendeinhundertsechsundachtzigste Gedicht

Blick auf die Frauenkirche Dresden

Urlaub im Vakuum

Und das Ich! wird wieder mal größer geschrieben,
Derweil sie das Wir! simulieren
Und den letzten Rabatz aus den Freiräumen schieben
Aus purer Freud am Kasernieren.

Und die Blockwarte schreien auf Online-Geheiß:
"Ein Richtig! lässt sich stetig steigern!"

Tief in Kopfschüttelskepsis erschlägt mich ihr Fleiß.

Fast fliehe ich in das Verweigern.

Leipheim II & das eintausendeinhundertfünfundachtzigste Gedicht

Am Bahnhof Leipheim

Theseus

Ich habe mein Schiff vor dem Sinken gerettet,
Habe Planke um Planke durch Frischholz ersetzt,
Die Durchlässigkeit mit Lasuren befettet
Und schwimme nun wie runderneuert im Jetzt.

So trägt mich noch immer die alte Gestalt,
Da ich selbstüberholt endlich seetüchtig bin.

Bis mein Kurs sich verflüchtigt im schwellenden Bald
Und kein Wort sich noch fügt auf die Frage "Wohin?".

Überruhr Heights & das eintausendeinhundertachtzigste Gedicht

Feld am Überruhr Holthausener Friedhof

Mit vertrautem Gesang

Wir werden zurück wie Verwundete geh'n
Und hangeln uns durch das Erinnern.
Wir werden verwundert die Uhren umdreh'n
Beim Ausschauversuch nach Gewinnern.

Es zieht eine Schwermut die Ufer entlang,
Die werden wir nicht mehr verdauen.
Wir säuseln uns ein mit vertrautem Gesang
Und wir schauen und schauen und schauen.

Rheinbrücke & das eintausendeinhundertachtundsiebzigste Gedicht

Rheinbrücke in Basel

Das alte weiße Mann

Wir sind die letzten unserer Art,
Uns hat es bald niemals gegeben.
Und Raffgier klaubt sich nach Diktat
Das Restlein Überleben.
Die Altbekannte schreit jetzt schriller,
Im Einklang mit neuem Stupiden.

So führt der längst fällige Tod von Godzilla
Noch weiter fort vom Frieden.

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