Poetry Slam

Alles, was Sie über den Poetry Slam wissen müssen, in Versform dargereicht.

Drei Monate & das hundertundfünfzehnte Gedicht

Wald Marienbad

Drei Monate der Abschiedstour sind rum. Bleiben noch neun Monate und keinerlei Gründe zur Trauer.

Drei von zwölf

Für nur ein Viertel Abschied vergieß ich keine Träne
Fünfundzwanzig Prozent? Also, ... nee!
Is' nich ma ein Drittel, errechne ich, gähne
Das dauert noch viel, viel zu lang, eh ich geh
Es zieht sich und zieht sich - wie ein Stalaktit, ich
Habe den Eindruck, es geht nicht vorbei
Die Hälfte der Hälfte - dann noch mal das selbe
Die Restzeit vergärt schon zur "Tschüss!"-Narretei

Und ist die erst geschluckt, kau ich weiter hier, gähne
Dann ist mir der Abschied doch längstens vertraut
So lasse - wie heute - ich ab von der Träne
Sei das Häuschen am Wasser für andre gebaut

Es fällt ein Abschied uns fast leicht
Wenn trotz der Zeit
Die Endlichkeit
Nie vollends der Bewusstheit weicht

Düsseldorf & das hundertunderste Gedicht

Zakk Poesieschlacht

Unterwegs. Wie. Immer.

Unfrei unterwegs

Bin nur abends an Orten
Und tags auf dem Gleise
Mit anderen Worten:
Versklavt an die Reise

Substanz & das neunzigste Gedicht

Substanz Poetry Slam

Zurück in München. Zurück im Substanz. Mein zwanzigster Auftritt dort. Damit mein am zweithäufigsten besuchter Slam. Und ein Auftritt steht dieses Jahr gar noch an.

Slam und Substanz

Schau, die Macher schöner Worte
Locken wieder an zum Orte,
Wo in langen Warteschlangen
Hintenan harrt hart am bangen:
Wer da zum Durchquer'n der Pforte
Eine Bahn zu spät gewählt -
Wird wohl nicht nicht mehr 'reingelangen,
Weil beim Slam das Timing zählt.

Dort drinnen durchdringt das Gedränge im Raum
Ein Ohrenmuschelkuschelflaum,
Dass bald im Strahl der Wortkaskaden
Nackige Gedanken baden.
Schön berauscht von Show und Schaum
Krönt man einen Slam-Nomaden.

Mal gewinnt was haltlos Grelles,
Manchmal auch was Substanz-ielles -
Slam-Ruhm ehrt den Star nie lange
Und verweht auch allzu schnell. Es

... ist um eins nur keinem bange:
Ewig währt die Warteschlange.

Wiesbaden & das vierundsechzigste Gedicht

Wiesbaden Schlachthof

So Unmittelbar war noch nie. In der Backstage geschrieben, in der Backstage online gestellt. Vom 17sten Geburtstag des Wilde Worte Slams in Wiesbaden.

17 Jahre Wilde Worte und keinen passenden Text dabei, daher ...

Ich willden Ort der Wilden Worte
Nicht bloß ob des Stückchens Torte
Heut in Frankfurt-Höchsten Tönen
Hurtig mit 'nem "Danke" krönen

Hoch hinaus & das fünfzigste Gedicht

Davos Walhalla-Bar

Und schon ist das Jahr 50 Gedichte alt. Wie zu jedem Zehnerschritt gibt es einen langen, bislang unveröffentlichten Slam-Text.

Der spätbarorokokoschokrokoladile wolkenumwobene speckige Putto

Oh, Du spätbarorokokoschokrokoladil-
er wolkenumwobener speckiger Putto,
Dort im Harfen- und Engelstrompetenfanfar'nspiel,
Hör: Ich darbe am irdischen Daseinsdreckbrutto!

Ist denn netto für mich noch ein Plätzchen dort oben
Im Seraphim-Cherubim-Engel-Gedränge?
So nutz' ich die Restzeit, frohlocken zu proben,
Das "Luja!" zu schrein, Hosianna-Gesänge.

Du und ich, Du, wir werden uns prächtig versteh'n
(sofern dies nicht jetzt bereits unlängst gescheh'n),
Denn scheint meine Schulzeit auch recht weit entfernt -
Ich hab da mal neun Jahre Englisch gelernt.
Diese bis zur Entrückung beglückende Sprache!
Wie verirrt wirkt ihr schier irisierender Rhythmus
Inmitten der klanglos belanglosen Brache
Des fitnessverbissenen Frühklassizismus,
Der auf Inbrunst verweigernder Grätendiät
Alle himmlische Pracht und Ornate verschmäht!

Welch Balsam ist da die Gesamtsinnlichkeit
Deiner lausbubkeck-rosigen Pausbäckigkeit!
Du, als leibhaft-beseelende Lichtgestalt,
Erspar mir dies Diesseits! Wenn möglich, alsbald.

Ich will Rokoko statt Rohkost-Flow!
Will Goldbrokat statt Brokertratsch,
Statt Mailterror Rocaille-Dekor!
Gib meiner barocken Barhocker-Sehnsucht ein Nahziel,
Du spätbarorokokoschokrokoladil-
er wolkenumwobener speckiger Putto!

Egal, wie man's rechnet - ob netto, ob brutto,
Es zeigt sich: Ich komme hier unten nicht weiter.
Und da mein bisschen Legende schon rinnet dahin,
Gilt mein Paternoster der Jakobsleiter -
Die gäb' meinem Leben erhebenden Sinn!

Oben robbt' ich dann durch Wolkenflausch,
Durch cumulust'gen Dunst mich empor,
Beschwingt vom ersten Manna-Rausch,
Zur Eckfahne vom Himmelstor,
Wo in schwungvollen Posen am Bildausschnittrande
Tummeln sich die Puttogrüppchen
Wie 'ne quirlige, handzahme Meerschweinchenbande,
Ein kindlich ergebenes, fröhliches Clübchen,
Welches mondköpfig lächelnd und entzückend verzückt,
Lockig gescheitelt, insignienbestückt
Mimt den Babyface-Fanclub der Erzengel-Helden
Die da mahnen und warnen und Großes vermelden.

Na, es ist die Cloud ein artenreicher
Engel- und Zierratespeicher!
Doch mir schwebt nur ein Dasein als Putto im Sinn -
Ich denk', von der Größe kommt's auch besser hin.

Ihr schwebt so spielerisch leicht, so erlöst wie pomadig,
So spätbarorokokoschokrokoladig,
In nackiger Unschuld und arglosem Spiel,
So bürschchenhaft pummlig, geschlechtslos-subtil,
Ganz barbrüstig und unbehost,
Nur sittsam von 'nem Tuch umkost.

Gerne winde auch ich mich in vergoldeten Fleece.
Doch was ich diesbezüglich bewund're, ist dies:
Dass, so tänzerisch auch Eure Posen,
Ihr zeigt Euch stets auch ohne Hosen
In alles bedeckender Züchtigkeit -
Ein Punkt, wo Ihr echt tüchtig seid!

Denn, sorry, dass ich das jetzt so direkt sage,
Bei mir ist es so, dass in jedweder Lage
Mein Togatuch zur Seite rutscht
Und das Gemächt ins Freie flutscht,
So dass sich mein Anblick verkürzt, gar verroht zum:
Entglittenem Glied über pendelndem Skrotum.
Schaut's Publikum dann himmelwärts,
Sieht's immer nur 'nen Pimmelscherz.

Ja, das ist das Los des Slam-Poeten:
Er mag zwar große Sprüche beten
Und in huldvoller Ehrfurcht nach Höherem streben -
Sein Körper weiß, in diesem Leben
Kürt die Jury Spleeniges
Und Unter-Gürtel-Linieges
Also leiert er von sich das alte Geschwengel
Und feiert den Sieg als gefallener Engel.

So entgrenzt unser Streben nach irdischer Gunst
Sogar noch des Rokokos Ausstattungskunst.
Doch jedes Stück, das überschmückt,
Zum End' Dich wieder niederdrückt.
Denn wer mit Entblößung sein Textfeld bestellt,
Der erntet kein Wort zur Erlösung der Welt.
So muss man weiter unten bleiben
Und muntermüde Schundzeug schreiben.

Dass ich dessen bewusst, trotzdem unverdrossen
Und herzhaft entschlossen
Nach all Deiner Gnad ziel',
Du spätbarorokokoschokrokoladil-
e, himmelhochjauchzende Luftgestalt,
Ist, weil ich gelob' mich zu bessern, ja wirklich, schon bald -
Ganz sicher in den näxten Täxten!
Da halt' ich bedeckt, was man besser versteckt,
Schreib' 'ne Spur eleganter, im Worte gewandter,
Dass ich ohne Mätzchen und Weh mich dann kleid'
Für's Plätzchen in der Ewigkeit.
Denn Slammer sein ist nicht so schwer - but to be a putto sehr!

Stippvisite in München & das dreiundvierzigste Gedicht

Münchner Rathaus

Keine 24 Stunden Zwischenstopp in München, um das Gepäck zu wechseln. Skischuhe sind auch dabei. Es geht in die Schweiz. Aber eine Frage stellt sich auf der Türschwelle: Kann das nicht auch langsamer gehen?

Wiedersehen und wieder gehen

Ah jöö, Adieu - muss wieder geh'n
Und irgendwo am Mikro steh'n!

Nun, derart kurze Stippvisiten
Sollten sich von selbst verbieten

Reduzieren sie doch ein geliebtes Zuhause
Zur Backstage einer Auftrittspause

Die Tour & das sechsundzwanzigste Gedicht

Green Mill Poetry Slam

Bevor ich mich morgen mit der ersten Viererrutsche von einigen meiner liebsten Höhlen im Slam-Norden verabschiede, soll noch schnell ein Slogan-Gedicht als poetischer Soundtrack zum Tourfilm veröffentlicht sein:

Hashtag Abschiedstournee

Zwischen Löwen und Möwen
Zwischen Aachen und Sachsen
Zwischen Mal-wieder-Kind-sein
Und endlich erwachsen
Pend'le ich in einer Tour
(starker Abgang? Schwachsinn pur?)

Verandern & das zehnte Gedicht

Veranda auf Kauai

Das Verb verandern sollte unbedingt Eingang in den Wortschatz finden. Für die Tätigkeit massiven Dichtens in einer dieses Tun unterstützenden Balkonumgebung. Muss in diesem Jahr für 366 Gedichte sorgen. Und in jedem zehnten Ei(ntrag) soll ein Langgedicht stecken. Hier also das erste:

Das Lahmen

Herr: Es ist Zeit
Den Ausdruck zu stoppen
Den Toner zu sparen
Und schnell zu zerknüllen
Was mir die Top Twenty der Slam-Poems waren
Und den Pfuhl jener Suhlgrube mit zu verfüllen
Wo glücklich wie duldsam ein Nulpenschwarm gammelt
Und sich drückend der Schulkinderschweißgeruch sammelt
Wo türsteherlos die Beliebigkeit sintert
Und ein Sommerversprechen seit Jahr'n überwintert

Längst gelähmt in Gebärden mit Mundgeruch
Deren zärtliches Werden scheint doch Grund genug
Für den Traum von Durchlüftung des ruhenden Geistes
Du als stets in Entschlossenheit Flüchtender weißt es:
Da sind viel zu viel Tiere im selben Gehege
Ist Wille, ist Wille und doch keine Wege
Ist man ständig auf Flucht vor den prüfenden Blicken
Weil es weiters misslingt, Dinge weiter zu stricken

Eh nun Nachgiebigkeit zu Verlorenheit führt
Dich die Kraftlosigkeit junger Muskeln berührt
Die mit Till-Schweiger-Kampfgeist Folklore betreiben
Oder Mainstreamsud-seiernde Heilssprüche schreiben
Und du duldungsstarr einwirfst, das bessere sich
Solltest du besser fragen: Was zählt das für mich?

Freundchen, öffne die Tür - denn im Haus riecht's nach Abschied
Und man kommt nicht umhin, hier pathetisch zu werden
Befindlichkeitsnähe, von der ich stets abriet
Doch hier kann nur noch Demut den Höhenflug erden
Erst in Paradiesnähe, dann raubtierumschlichen
Scheint weitere Aussicht Applauspflicht gewichen

Von der Zukunft, die wir einstmals hatten
Wurde viel zu viel schon ohne Wirkung verbraucht
Wer soll dir denn je deinen Eifer erstatten
Der all deine Werke wie Schimmel behaucht?
Kein Platz besser als hier, nur: Du musst hier jetzt weg!
Auch ein Aufbruch ins Nirgends erfüllt seinen Zweck

Stimm jetzt nicht deine schwülstigen Kampflieder an
Mit dem magenleidigen Rülpssopran
Von Inbrunst und Wortkunst und Prostatafrust
Von zu dünner Kost, Glutamat und Verlust

Dein krähenfußgerahmter Blick
Lässt das Rascheln naher Funktionskleidung ahnen
Dich prägt jetzt das Schicksal und nicht mehr der Chic
Zu altbacken klingst du beim zähen Ermahnen
Der Onlinebestellungsretourennomaden
Auf Konsensgewissheit verheißenden Pfaden
Die strategisch naiv das Verwirrende meistern
Und einander sich halbgar fürs "voll klar!" begeistern

Du preist den Genuss, mit dem du dich geprügelt
Den prickelnden Schmerz wundgeschlagener Knöchel
Doch auch deine Kampfwut ward unlängst gezügelt
Erspar deiner Nachwelt das Vorspielgeröchel

Was immer jetzt klemmt, wird sich auch wieder regen
Die Welt wird wie immer von selbst sich bewegen
Nur altgedient hat ausgedient
Und was du da hegst, wird nie wieder begrient
Im Haus riecht's nach Abschied, also öffne die Tür
Kein Platz besser als hier, doch du kannst hier nicht bleiben
Wer sich hier verrammelt, muss wissen, wofür
Den Mietvertrag jedes Jahr neu unterschreiben

Wen immer du suchst - er wohnt längst nicht mehr hier
Und das liegt ausschließlich, mein Lieber, an dir!

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