Kunst & Inbrunst

Gedichte zur Kunst und der künstlerischen Inbrunst nebst dem entsprechenden Leiden.

Parque Estadual & das zweitausenddreihundertzweiunddreißigste Gedicht

Im Parque Estadual der Ilha Grande

Der Ausreißer

Bist von einem Zuhause weggelaufen,
Dass es in dieser Art nicht mehr gibt.
Und du könntest dir jederzeit kaufen,
Dass überall dich jemand liebt.

Die dir versagten Ritterschläge
Werden längst nicht mehr eingeübt.
Ein Kosmos voller Fehlbeträge
Hat alle Bilanzen getrübt.

Trotzdem träumst du von keinem besseren Leben -
Denn das Träumen an sich trägt die Schuld!

Du wirst dich energisch vorm Nachtisch erheben.

"Was sollte denn das?" - "Das ist Kult!"

Favela-Spiegelung & das zweitausenddreihundertfünfundzwanzigste Gedicht

Die Favela Gamboa im Spiegel der Neubauten

Befriedet

Dein Aufruhrbegehren war stets etwas weird,
Nun hab'n manche Lehren dich pazifiziert,
Bist immer noch Insel, doch fügst dich dem Meer,
Warst hartes Gerinnsel, nun rügst du meist fair.

Den Frieden zu finden, heißt ihn zu erzwingen -
Es kann das Sich-Winden nicht ewig gelingen.
Erwies rüder Stolz nicht beizeiten als falsch sich?

Fast müd zuckt die Klinge - und irrt sich gewaltig.

Alle Rechte bei Markus Berg, der das Gedicht im Rahmen der Rio-Spendenaktion 2023 erstanden hat.

Fundbüro Wuppertal & das zweitausenddreihundertundachtzehnte Gedicht

DB-Fundbüro in Wuppertal, von neuen Bewohnern gefunden

Zu lang geschwiegen

Zu lange schweigen
Heißt: Rhythmus vergeigen,
Abseits zu landen vom einstigen Reigen

Zu lang zu schweigen
Bedingt abzusteigen,
Heißt: Weißheit verbeigen,
Zertretene Zehchen,
Heißt: irgendwie sich ohne Nirgends verlier'n,
Dringt letztlich gesetzlich als Leerstand ins Hirn
Und kommt zum Ende nicht zur Ruh.

Trotz Likes zeigt sich dann Blut im Schuh.

Neuer See Tiergarten & das zweitausenddreihundertundfünfzehnte Gedicht

Film auf dem Neuen See im Berliner Tiergarten

Im Widerstreben

Ich werde womöglich mich nie dran gewöhnen,
Dass man sich an alles gewöhnt.
Sollt' ich denn dem Pool der Gewohnheiten höhnen,
Wenn alles in mir klagend stöhnt?

Karstadt Dresden & das zweitausenddreihundertundsechste Gedicht

Fassade vom Karstadthaus Dresden

Meer und Horizont

Und im Ozean des Wissens, nicht zu genügen,
Strecke ich meine Haifischflosse empor.
Oh, schon brandet Protest, sich ein wenig zu fügen! -
Im etwas zu einig erscheinenden Chor.

Es entrüstet die Jury mein Raubfischgebahren -
Ja, war denn ihr Votum nicht deutlich genug?!

Gleich wird sich ein Meerjungfraugirl mit mir paaren -
Als all der Unendlichkeit schönster Betrug!

Capitolio & das zweitausendzweihundertvierundsiebzigste Gedicht

In der Wandelhalle vom Capitolio von Havanna

Im Visier

An meiner Pläne Flipchart harrt
Das Tschechowsche Gewehr.

Verspür ich solch Gefährdungsgrad?
Ich würde sage: sehr.

Es flötet sein "Zu spät, zu spät!"
Mein Kuckuck gegens Ändern.
Und ich diktier, was er mir rät,
Noch nie gehörten Sendern.

Café mit Meerblick & das zweitausendzweihundertneunundsechzigste Gedicht

Strandbar vom Las Dunas am Cayo Santa Maria

Grauer Vogel von hinten

So ein mattgrauer Vogel von hinten
Ist kein gleich begeisterndes Fotomotiv.
Dennoch zückt zuckbereit eure Flinten
Und erweckt die Beachtung, die allzu tief schlief!

Oft schwelt in dem uns Abgewandten
Der Docht von noch entfernter Kunst!
Man spürt im früh ins Bild Gebannten:

Künft'ge Faszination ist im Kern unterunst.

Kubaspecht & das zweitausendzweihundertsechzigste Gedicht

Kubaspecht - Endemit der Großen Antilleninsel Kuba

Des Anspruchs Los

Ich bin wahrscheinlich
Allzu kleinlich -
Das tut mir selbst am meisten leid!

Manchmal wein ich,
Scheint's auch peinlich
Um die Welt verschmähter Zeit.

Alle Rechte bei Annika Blanke, die das Gedicht im Rahmen der Kuba-Spendenaktion 2023 von mir gekauft hat.

Westendstraße & das zweitausendzweihundertfünfzigste Gedicht

Gebäude der alten Augustinerbrauerei in der Westendstraße

Ermüdungsbrüche

Ich suhle und besudel mich in Ungewöhnlichkeit,
Stöhn immer etwas langgeweilt und falle aus der Zeit.

Ach, könnte ich für irgendwas
Mich zweimal interessieren!
Ach, fänd ich mal an etwas Spaß
Nach lebenslangem Gieren!

Kenn keinen Unterscheidungsgrad
Von Lebensqualitäten.
Mir ist egal, worauf ich wart -
Es kann sich nur verspäten.

In mir verschwendet, ohne Not, sich unaufhörlich Leben.
Doch wird's mich bis zu meinem Tod, sehr unbeeindruckt, geben.

Palazzo Mocenigo & das zweitausendzweihundertsiebenunddreißigste Gedicht

In der Textil- und Parfumausstellung im Palazzo Mocenigo in Venedig

Taktstock

Ich drille wie ein Dirigent,
Der die hinter ihm spielende Welt gar nicht kennt,
Die meinem Blick ergeb'nen Werke
(und lob das Ausmaß meiner Stärke) -

Tu dies vielleicht verlor'n.

Ich schaue nie aufs Publikum,
Nenn es ungestüm vorschnell mal bräsig, mal dumm,
Doch leb davon, ihm zu gefallen
(als schwierigster Sollwert von allen) -

Die Muse spielt dort vorn.

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