Gebäude & Urbanes

Gedichte, in denen Gebäude und Bauwerke oder städtische Areale die Hauptrolle spielen.

Turiner Bergkulisse & das zweitausendvierunddreißigste Gedicht

Blick vom Mole Antonelliana, dem Wahrzeichen von Turin

In Italien

In Italien ist Stadt-zu-Sein spürbar viel größer
Und der Boden aus feinerem Stein.
Jahrhundertgesotten als Einflusseinflößer
Entmüht sich das süßere Sein,
Ist jed Geräsuch Teil einer Kleinmelodie -
Und sinnenversonnen erlauschen wir sie.

Die volle Gattung Mensch, sie schwelgt im Bann vergangner Zeit.
Und der Stolz der Gehwegplatten türmt sich zu Erhabenheit.

Neubautradition & das zweitausendneunundzwanzigste Gedicht

Wohlgemeinte Wohnhäuser in Naters

Schweizer Beton

Schweizer Beton ist der derbste der Derben -
Der brüllt in die Landschaft: "Get ready for sterben!"
Schweizer Beton ist der grauste der Grauen -
Der scheint sich von selbst ständig weiter zu bauen.
Schweizer Beton ist der grellste der Hellen -
Der negiert die geringsten Verwitterungsstellen.
Es lädt solch Beton scheinbar ein zur Bewohnung -
Doch hüte dich vor einer falschen Betonung!

Stockalper Schloss & das zweitausendneunzehnte Gedicht

Das Stockalper Schloss in Brig

Schlossworte

Ein Schloss, sehr beschaulich,
Spricht: "Los, Spross, beschau mich!
Bewunder meiner Zimmer Zahl
Und das, womit ich immer prahl:
Türme, Mauern - abzuwehren
Würmer, Bauern, die sich wehren!
Aufstand? - Oh, so trau Er sich:
Dann wird's richtig schauerlich!"

Ehre, wem Ehre gebührt & das zweitausendachtzehnte Gedicht

Das Goudron-Denkmal für Ernest Guglielminetti bei der Saltinabrücke in Brig

Briger Denkmäler (wider die Lebenswerkbürde)

Der Erfinderin des Cordon Bleu, dem Schöpfer der Straßenbeteerung
Und einem Piloten vom fernen Peru - die Stätten der Heldenverehrung
Sind in Brig
Auf einem Blick
Zwar spartig, doch sehr ausgewogen!

Nicht Päpste und Feldherr'n
Je nochmals als Held ehr'n
(die oftmals noch falsch abgebogen)!

Für den schmalen, genialen Moment statt fürs Leben
Den passenden Namen aufs Denkmal zu heben,
Ist von unumstößlicher Zeitlosigkeit,
Die vorm Größenwahn wendiger Trends scheint gefeit!

Jed Dasein benötigt Asphalt für die Raser,
Das Cordon Bleu, El cóndor pasa!

Oberbaum & das eintausendneunhundertsechsundfünfzigste Gedicht

U-Bahn auf der Oberbaumbrücke vorm Eierspeicher Universal Gebäude

Dem tapferen Baum an der Warschauer Brücke

Auferstanden aus Ruinen
Und aus Rinden, winterstarr
Zwischen Tram- und S-Bahnschienen
Blühst du auf! Wie jedes Jahr.

Unbeugsame Flowerpower
Trotzt dem eitlen Gammel-Look
Spammt dich auch ein noch so rauer
Degentrifizierungsdruck
Du sagst durch die Blume, unbeirrt
Es freue dich, dass Frühling wird!

Umströmt vom Party-People-Muff
Versumpfter Twens nach Billigsuff
Schluckst du den Touripöbelpiss
Nebst Pennerwein und Tölenschiss
Wirst regelmäßig vollgestrullt
Und unaufhörlich eingelullt
Vom Atzen-Sang von Kevins Miss
Von Studi-Talk und Bullen-Diss
Doch du blühst weiter, unbeirrt
Freust dich halt, dass Frühling wird!

Du konterst mit dem Blütenkleid
Der allgemeinen Hässlichkeit:
"Ich zieh mir heut wat Schicket an
Und frische auf, so gut ich kann!
Ein Frühlingserwachen in ewiger Dreckzeit
Und vielleicht halt' ich durch, bis dass ihr alle weg seid!"

Muss Schönheit auch vergänglich sein -
Ich zähl auf dich, Baum, häng dich rein!

In zwei Wochen ist all dein Zauber verblüht -
So lang sei Oase dem edlen Gemüt!

Gummibäume & das eintausendneunhundertzweiundfünfzigste Gedicht

Reifenhalde in der Nähe vom Waldseiter Hof

Die adventlichen Müllsammler

Der Marabu ist mein Begleiter
Beim Schreiten durch den Müll.
Wir sind umwolkt von Futterneid, ver-
Meiden aber still
Und schweigend, hier Formen der Missgunst zu zeigen -
Uns eint wie entbrüdert, die Kunst abzuzweigen
Von dem, was hierher abgemüllt
Und unsre simplen Mägen füllt,
Seit Bissenwissen uns umweht,
Von dem, was andren obsolet.

Wir teilen als glücklose Stelzvögel hier
Die Früchte der feuchtwarmen Zone.

Uns kümmert nicht mehr, ob da Mensch oder Tier
Ist fremderleuts Herrgottes Sohne.

Kunstlabor 2 & das eintausendneunhundertfünfunddreißigste Gedicht

Erster Raum vom Kunstlabor 2

Begrüßungsgedicht für eine Lesung im Humboldt-Lab im neuen Humboldt-Forum Berlin

Oh Gott, wo bin ich denn hier nun gelandet?

... wo bin ich, zur Hölle, denn hier nun gela-
Lalalalabor, Laboah!, Lapoah?, Laoahhh ...
Entschlossen forschend kommt‘s mir vor
Als fehlte jetzt nur noch ein My an Verständnis,
Als kratzten die Fingerchen schon die Erkenntnis,
Als hörten bereits wir den Widerhall
Vom „Mr. God, tear down this wall!“
Wir wollen das Dahinter seh‘n,
Es einzuordnen ins Versteh‘n,
Bejubeln unser Anschlusstor,
Das endlich frei gespülte Rohr!
Unser Weg aus dem Labyrinth führt durchs Labor ...
Verfolgt von einem Labrador!
Der schnappt nach Erste-Welt-Komfort
Und Nach der Natur
Auch nach unsrer Statur - Humm!
Drum: Machen wir uns ganz, ganz klein,
Woll‘n statt Labor nur Lab noch sein!
Lab, Lab, Lab, Lab, Lab - Humm!boldt
Lab top! Top Lab und Top-Labor,
La biere, la boom und Laber-Chor,
Labiles Schlappohr und Labskaus,
Schloss jetzt!
Schluss jetzt!
Ab und
Aus!

Stampflehm & das eintausendneunhundertzwölfte Gedicht

Ruine auf der Straße der Kasbahs

Vergänglichkeitsschauder

Wir kauern vor Mauern,
Die uns überdauern,
Und lauern auf eignen Belang.

War solch ein Verlangen
Den Mauererbauern
Auch dauernd sie gängelnder Drang?

Warschauer Straße & das eintausendneunhundertzweite Gedicht

Blick auf den S-Bahnhof Warschauer Straße

Istzustand vs. Warschauer Straße

Warschauer Straße,
Schau', Du wars' ma'
Sechsträngig gängiger Umschlagplatz.

Doch man hat Dich
Ratzefatz

Zu NullAchtFuffzehn degradiert,
Mit Billigrampen ramponiert.

Und plötzlich soll jeder hier zweigleisig fahr'n
Und kann sich die geistige Mitarbeit spar'n.

Am Bauwerk versündigt,
Den Fahrgast entmündigt -
Vielleicht heißt In-die-Zukunft-Schau'n
Bloß geistig/gleisig abzubau'n.

Klosterzugang & das eintausendachthundertvierundvierzigste Gedicht

Brücke zum Kloster Seeon

Hoffnung, wider

Dort am Lottoschalter im Schreibwarenladen
Liegen die Formulare bereit
Zur Einbürgerung in die Sorglosigkeit.

Solch Grenzübergänge umlagern Nomaden -
Denn die Hoffnung wirkt wie ein Magnet,
Der Wirren wie Wissen und Wind widersteht.

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