Gebäude & Urbanes

Gedichte, in denen Gebäude und Bauwerke oder städtische Areale die Hauptrolle spielen.

Warschauer Straße & das eintausendneunhundertzweite Gedicht

Blick auf den S-Bahnhof Warschauer Straße

Istzustand vs. Warschauer Straße

Warschauer Straße,
Schau', Du wars' ma'
Sechsträngig gängiger Umschlagplatz.

Doch man hat Dich
Ratzefatz

Zu NullAchtFuffzehn degradiert,
Mit Billigrampen ramponiert.

Und plötzlich soll jeder hier zweigleisig fahr'n
Und kann sich die geistige Mitarbeit spar'n.

Am Bauwerk versündigt,
Den Fahrgast entmündigt -
Vielleicht heißt In-die-Zukunft-Schau'n
Bloß geistig/gleisig abzubau'n.

Klosterzugang & das eintausendachthundertvierundvierzigste Gedicht

Brücke zum Kloster Seeon

Hoffnung, wider

Dort am Lottoschalter im Schreibwarenladen
Liegen die Formulare bereit
Zur Einbürgerung in die Sorglosigkeit.

Solch Grenzübergänge umlagern Nomaden -
Denn die Hoffnung wirkt wie ein Magnet,
Der Wirren wie Wissen und Wind widersteht.

Filmpalast & das eintausendachthundertvierundzwanzigste Gedicht

Filmpalast Sendlinger Tor

Seele der Säle

In zehn Jahren kennt hier dann niemand mehr Polster
Und nuckelt nur am Digitalen,
Abhold der Komforts, derer ehemals tollster
Ist Teil des Tributs, den die Kalkfresser zahlen.
Und vorhanglos lügt sich zum Plan gegen Brände:
Der weltweite Rückzug in eigne vier Wände.

Doch werd ich die Logen, Parketts sowie Ränge
Mit meinem Gedächtnis auch weiter belegen.
Erinnerte Wucht jener Bilder und Klänge
Wird mich durch die Reizarmut flammend bewegen.

Ammerseeleu & das eintausendsiebenhundertvierundachtzigste Gedicht

Statue am Ammerseeufer bei Herrsching

Dem Leerstandsmanager

Ein leiser Gruß an den Kollegen
Vom Leerstandsmanagement,
Den all der brachen Flure wegen
In Tanzbars niemand kennt.

Doch Wohneinheiten muss man streicheln,
Wenn Einsamkeit dort trübt,
Die Wasserhähne hart und weich stell'n -
Ein Handgriff, eingeübt.

Der Makler*innen Waisenkinder
Führ'n ein entleertes Leben -
Drum muss es stille Ödnis-Linder
Wie den Kollegen geben.

Südliche Heide & das eintausendsiebenhundertzweiundachtzigste Gedicht

aussichtspunkt Heideblick im Naturpark Südliche Fröttmaninger Heide

Sonntagmittag

Die Sonntagsbrühe steht verdickt in den Gassen
Und sammelt sich Masse bis mittags um Eins,
Der Frühstückskaffee restet in seine Tassen
Zum Glockenschlag hiesigen Glaubensgebeins.

Und paarungsbereit liegt der Nachmittag da,
Ich such nach verwertbaren Reizen,
Doch unberückt, aller Erwartungen bar,
Muss langen, die Beine zu spreizen.

Bichlkastanie & das eintausendsiebenhundertsechsundsiebzigste Gedicht

Kastanie am Radweg zwischen Bichl und Benediktbeuern

Verweildauerduos

Biergartenbäume
Und "Hier warten"-Räume -
Verweildauer: einige Stunden

Instagramstories
Und finstre Memories -
Allenfalls ein, zwei Sekunden

Valley II & das eintausendsiebenhundertsiebenundzwanzigste Gedicht

Maibaum in Valley bei der Schlossbrauerei Graf Arco

Vom Flanieren

Mein Müßiggang macht Einkaufsstraßen
Zu auserwählten Boulevards,
Erst zweckgelöst macht Laufen Spaß, wenn
Im Jenseits aller Zeit-Etats
Auch der Gedanken Gang entspannt.

Und füllbereiten, leichten Schrittes
Gerät jed Weg ins Nichts verziert,
Zieht unbeschwerten Lichtsinn mit, es
Verrät ein Strauch, der mich passiert,
Er sei noch lyrisch unbenannt.

Seeshauptufer & das eintausendsechshunderteinundsiebzigste Gedicht

Verschneites Ufer bei Seeshaupt am Starnberger See

Vierte Auftragsversewoche 2021: Gewünscht wurden Gedichte zu den Themen Angst vor dem weißen Blatt, Discounter, Kratzbäume, Joggende, Porzellanservices und atomare Endlagerung.

Discounter & Mängel

Du magst sie miesgelaunt gern dissen,
Doch ich würd die Discounter missen,
Durch die manch Kontoeingangsflaute
Ich umstandslos wie satt verdaute.

Mich labten Sonderangebote
Ganz ohne ne besondre Note.
Nur

In die Mangel, der'n "der"-Pendant ich so entkommen,
Werden reziprok die Lieferanten genommen.
Drum nährt sich der Plan, nochmals umzuentscheiden,
Eröffnen sich mir wieder weitere Weiden.

Steilabfahrt & das eintausendsechshunderteinundzwanzigste Gedicht

Skiabfahrtspiste vom Luitpoldhügel

Erste Auftragsversewoche 2021: Gewünscht wurden Gedichte zu den Themen Yoga, Serienbingen, Netflix, Geschwurbele, E-Mobilität, Marilyn's Army, Hochzeitsfotografen und Fanfiction.

Netflix (ein Gedicht über das Maxvorstädter Isabella-Studio)

Ging Netflix in die Insolvenz,
So würden nicht mal treue Fans
Dies tiefstgrämig bedauern
Und viele, die drauf lauern
(zum Beispiel ich),
Gäb'n lediglich
In Kürze zu verstehen,
Dass Fürze halt verwehen.

Doch müsste ab morgen mein Eckkino schließen,
Würd' das wohl wahrscheinlich ganz München verdrießen
Als Zeichen, dass unsre Gesellschaft sich windet
Und im desaströsesten Zustand befindet.
Man würde die fehlenden Arthouse-Filmstreifen
Als Stadtviertelödnisverschlimm'rung begreifen -
Fand auch selten mal was vor mehr Zuschauern statt
Als Netflix in Mio an Stammsehern hat.

Aber Netflix als fat Nix ist völlig entbehrlich
Und das Isabella so kuschelig ehrlich.

Wahrer Wert und Warenwert
Sehen hier einander an -
Und es ist recht fix erklärt,
Worauf man verzichten kann.

1972 & das eintausendsechshundertzehnte Gedicht

Olympia Regattanturm bei Feldmoching/Oberschleißheim

Eigen Heime

Am Stadtrand formiert sich das Kleine Glück,
Erschwing- wird zur Gemütlichkeit.
Der Stillosmix probiert ein Stück,
Das nicht nach Rezensionen schreit.

Die City rümpft pikiert die Nase
Und wiegt sich in der Meinungsblase.

Eh man ins Drive-Now-Auto steigt,
Die Händchen "Schön war's, danke!" fächeln,
Noch bis zum Ring die Fassung schweigt,
Erlöst vom süffisanten Lächeln.

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