Erde

Verse für die Melancholiker, denen man Erde, Herbst, Abend, Erwachsenenalter zuordnet.
Die besinnlichen und leisen Gedichte.
Von Aphorismen bis zur Vanitasdichtung.

Sollte Ihnen ein hier eingereihtes Gedicht eher den anderen Kategorien Erde, Luft oder Feuer entsprechen, bitte ich, mir eine Nachricht über www.hirnpoma.de zukommen zu lassen!

Holthuser Tal & das eintausendfünfhundertsechsundfünfzigste Gedicht

Laub am Überruhrer Kommunal Friedhof im Holthuser Tal

Zur Portionierung

Man sollte, klar, beim Neu-Erfinden
Sich nicht an zu viel Altes binden.

Und doch braucht's für den Unterschied
Das Hier, von dem man kam und schied,
Weil's des Alten genug sei und reiche:

Den Restgeruch der Weiche.

Westallgäu & das eintausendfünfhundertachtundvierzigste Gedicht

Am Bahnhof von Heimenkirch im Allgäu

Lockdown Triage

Ich liege bereits bei den Toten,
In der Hoffnung, ein Arzt käm' vorbei.
Der Raumwechsel ist mir verboten.
Im Trance, man sei bald an der Reih',
Betrachte ich scheu die verdrehtesten Nachbarn
Als mahn'nden Beleg, dass die ehemals wach war'n
Doch wehre mich gegens Erschauern.
Hier ist dein Platz. Es wird dauern.

Nachtfahrt & das eintausendfünfhundertvierundvierzigste Gedicht

Venedig bei Nacht

Den Verfinsterten

Als Schwarzes Loch wäre der Blaue Planet
Auf 1,8 Zentimeter gepresst.

Ich hab keine Ahnung, wie so etwas geht,
Verlang keinen dieses belegenden Test,
Doch was mir an solcher Behauptung gefällt:

Die sichtbare Größe verschweigt dein Gewicht.
Auch darf es egal sein, wie klein man dich hält -
Im Innern verbleibt, unentfliehbar, das Licht.

Dorsoduro & das eintausendfünfhunderzweiundvierzigste Gedicht

Im Dorsoduro von Venedig

Rindsrouladen

Den Zauber der Beständigkeit
Werd ich alsbald vermissen,
Da in seinen Prämissen sich
Schon erste Fasern trennen.

Schon schmilzt ein Gletscher aus der Zeit,
Der wird sich nicht erneuern.
Mag Fortschritt sich beteuern - mich
Reu‘n die, die dich nicht kennen.

Punta della Dogana & das eintausendfünfhundertneununddreißigste Gedicht

Die Punta della Dogana in Venedig

Wie schön, das letzte Wochenende noch einmal für den zweiten Venedig-Ausflug in diesem Jahr genutzt zu haben ...

Die Ausstellung

Hier wird ein kleiner Teil der Welt
Mir auszugsweise vorgestellt ...

Doch ob das, was als Bild ich ja durchaus versteh',
Auch gilt, wenn ich's da draußen seh'?

Bergrücken & das eintausendfünfhunderteinunddreißigste Gedicht

Wendelstein mit Wendelsteinkircherl

Die Schulter-Nacken-Partie der Marilyn M.

Die Schulter-Nacken-Partie von Marilyn Monroe
Ist wie frühmorgendlich unbetretener Schnee ...
Welch Huldigung wagt sich an solch Perfektionsshow,
Da allüberall singt der Sinne Juchhe!?

Darf dein dürftiges Dasein solch Glorie erwarten,
Die von Kameras für deinen Bildschirm geraubt?
Wird dank jener Ansicht vom unbegrenzt Zarten
Nicht erst an die Mächte der Götter geglaubt?

Diese Rückenpartie der verzückten Beglückung
Ist ein fast überfordernder Buttercremeschmelz!
Drum braucht ihr Genuss eine Schling-Unterdrückung,
Ein erdendes Mal des Nicht-von-dieser-Welts!

Sonst wär' ich, meinem Blicke gleich,
In Haut schon längst versunken
Und all der süßen Pracht zu reich
In Liebreizflut ertrunken.

Heilige Tiefe Sudelfeld & das eintausendfünfhundertdreißigste Gedicht

Blick aufs Sudelfeld vom Wendelstein

Meine Restreligiösität

Wenn frömmelnd Geist ins Hinten leuchtet,
Spirituell ein Haus erhellt,
Posiert mein Zweifel, doch mir deucht, et-
Was Schwurbel kurbelt an die Welt.

Märchenwald & das eintausendfünfhundertzweiundzwanzigste Gedicht

Märchenwald am Kyritzer See

Als die Mutter

Als die Mutter uns bat,
Jetzt nach Hause zu kommen,
Wär'n wir besser im Wald noch geblieben.
Wir hab'n in der Tat
Uns viel schlechter benommen
In der Welt, die Vernünftige lieben.

Wir waren so vertieft im Spiel,
Dass wir keine Sekunde bereuten.
Heut bist du ein Junkie, ich bibliophil -
Mitten Dingen, die kurz nur bedeuten.

Als die Mutter uns rief,
Weil das Abendbrot warte,
Wär'n wir besser am Waldrand verschollen.
Weil, so wie es lief,
Uns doch nur offenbarte:
Wir sind zu verführbar im Wollen.

Kampehl & das eintausendfünfhundertzwanzigste Gedicht

Hof in der Ritter Kalewuz-Ortschaft Kampehl bei Neustadt an der Dosse

Frühherbstdümpeln

Das schon jetzt in den leidigen Winterklamotten
Über-die-scheidenden-Wiesen-hin-Trotten
Träumt ständig vom Mediterranen.

Doch den Kreislauf zu preisen obliegt den Bigotten,
Eh sie verschleißend im Hausflur verrotten
Und mildere Wechsel erahnen.

Unsre rosige Haut müffelt blass, wie gesotten
Von dem Parfum all der Winterklamotten.
Triumphe gilt's nicht mehr zu planen.

Zürichseemitte & das eintausendfünfhundertsiebzehnte Gedicht

Wasserqualität Zürcher See

An stets ereignislosen Tagen

An stets ereignislosen Tagen
Bin ich einfach Leim,
Stell die abgenutzten Fragen,
Such mir einen Reim.

An ereignislosen Tagen
Lob ich mir die Lieb
Und verschöner' mein Versagen
Wie ein falscher Dieb.

An ereignislosen Tagen
Denk ich nicht sehr weit -
Muss den Dom nicht überragen
(Hätt ich auch die Zeit)!

Zu den hier beschrieb'nen Tagen
Schleicht sich ein Gewöhnen,
Um Gedanken und den Magen
Würzfrei zu befönen.

An stets ereignislosen Tagen
Kraul ich Bruder Leim,
Spür sein schnurriges Behagen
Wie ein zweites Heim.

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