Erde

Verse für die Melancholiker, denen man Erde, Herbst, Abend, Erwachsenenalter zuordnet.
Die besinnlichen und leisen Gedichte.
Von Aphorismen bis zur Vanitasdichtung.

Sollte Ihnen ein hier eingereihtes Gedicht eher den anderen Kategorien Erde, Luft oder Feuer entsprechen, bitte ich, mir eine Nachricht über www.hirnpoma.de zukommen zu lassen!

Flammenkopf & das eintausendneunhundertneunundsechzigste Gedicht

Flammenkopf-Bartvogel in der "Welt der Vögel"-Vogelhaus im Zoo Berlin

Ein Patzer

Ein seltsam trüber Abstand schiebt sich
Zwischen mich und meine Pläne.
Ein Hauptziel färbt sich unbeliebt, ich
Neig zum Reißaus meiner Zähne.

Die Wichtigkeiten sind nun kindlich,
Gebarten sich lang als Reflex -
Ihr Leumund wird mir unerfindlich,
Sie degenerieren zu Gags.

Ein seltsam trüber Abstand schiebt sich
Zwischen mich und meine Pläne.
Er klärt sich auf, wenn man sich letzte Unrast vergibt.
Ich schüttle den Kopf und gähne.

Sonnenuntergang & das eintausendneunhundertfünfundsechzigste Gedicht

Sonnenuntergang über Marrakesch

Letztes Reisen

Wohin wir nun nicht mehr gelangen,
Soll'n Träume uns hinlenken!
Wir sind zwar im Alter gefangen,
Doch unangeleint streunt das Denken
Durch längst zu hohe Niederungen
Und apportiert in seinen Pfoten,
Was uns das Leben nicht geboten
Wie gültige Erinnerungen.

Fischplatte & das eintausendneunhundertdreiundsechzigste Gedicht

Fischstand in der Medina von Essaouira

Als Humorist

Die Möglichkeit des Tanzes
Drückt mich massig ins Polster auf meinem Balkon.
Hass ich nicht die Welt - so als Großes und Ganzes
Und dichte zu selten davon?

Ich will mich an bitterer Süße erregen,
Dazu auch ein bisschen die Füße bewegen:
Taptap - Tadapp, Tadapp - Tap, Tap ... -
Schon fällt etwas Wahrheit vom Himmel hinab.

Zwischendeck & das eintausendneunhundertzweiundsechzigste Gedicht

In der Hassan-II.-Moschee Cassablanca

An der Schwelle

Von der Mitte der Brücke in die Mitte vom Fluss -
Von nun an gilt das Treiben.
Von nun an drängt ein Kann, kein Muss,
Mich, weitere Zeilen zu schreiben.

Atlaspass & das eintausendneunhundertsechzigste Gedicht

Auf dem Atlaspass Richtung Marrakesch

Interrailin‘ (Den alten Gefährten)

Ach, selige Zeiten der Rastlosigkeit -
Zwei Tage vor Ort, war‘n die Koffer gepackt.
Wir hatten kein Google Maps und keine Zeit,
Wir waren, kaum styleversiert, schon wieder nackt.

Doch bald sind wir falsch abgebogen -
Und das nicht mal zugleich!
Nun hab‘n wir die Zeit und zu wenige Drogen,
Sind für früh‘re Verhältnisse reich.

Ich richte mein Sehnen gen altes Revier
Und wähne dich dicht hinter mir.

Jardin Majorelle & das eintausendneunhundertneunundfünfzigste Gedicht

Im Jardin Majorelle in Marrakesch

Nachthand

Sie zog die Hand so plötzlich fort
(Und sie wäre zu halten gewesen).

Zu schuldig am leicht zu verhindernden Mord
Gelobten wir, bald zu genesen.
Doch der Mond, der uns in jener Nacht sacht’ beschien -
Er wächst nicht mehr zu ganzer Fülle,
Kreuzt den Nachthimmel nach unverrückbarer DIN
Und die Taglast belärmt ein Gebrülle
Aus „Wieso?“ und „Warum?“ und „Liebst du mich noch?“
Als drei der dich suchenden Finger
Vorm bleich übers Laken sich spannendem Loch.

Und käsig thront
Über all dem der Mond -
Ein Hüter, doch auch ein Bezwinger.

Middle of E & das eintausendneunhundertsiebenundfünfzigste Gedicht

Essener Hauptbahnhof

Vor abermals verregneten Scheiben

Und mit jedem herbstnen Regenfall
Berichtigt sich mein Blick.

Verschwommen tropft sich auf ein Wall,
Ein unvernomm‘ner Klick
Linkt zurück ins Graueinst - nunmehr ein Idyll.
Behauptet als Raubein, steh stad ich und füll
Die Welt in den Mauern von zu kalten Scheiben
Wie ein verzwergtes Jenseits auf.
Jenes lässt vom Elan sich längst schlechter vertreiben -
Ich nehm‘s als Alter gern in Kauf,
Da das Jetzt wie zum Trotz sich mit Unverstand schmückt,
Eine kindliche Bootsfahrt mich stärker entzückt.

Bis ich dämmrig mich mit diesem Fazit versöhn:
Mein Leben war - nicht ist - noch schön.

Fezfalter & das eintausendneunhundertdreiundfünfzigste Gedicht

Schmetterling im Jnan Sbil Park nahe der Medina von Fez

Traumwandler

Sie sagte, es sei ja nur
Ein schlechter Traum, nicht mehr.
Ich widersprach ihr, litt noch stur
Und ward der Lage Herr,
Nun erkennend: Nichts war den Ärger wert.

Nun trennt uns, dass sie unbeschwert
Den Weg, den sie erkannt', auch ging
Und nicht am oft Genannten hing.

Ich denke oft, jetzt wach zu sein.

Ob ich sie vermiss, magst du wissen? Ach, nein -
Ich erinner ihrer ja kaum.
Doch hatte sie recht,
Nichts zählt hier in echt.
Auch sie ist schon nur noch ein Traum.

Etschabendnebel & das eintausendneunhundertneunundvierzigste Gedicht

Die Etsch in Verona bei Nacht

The day after

Ich habe gestern diesen Tag
In Alkohol versenkt,
Bin aufgewacht in einem Sarg
Und war bereits erhängt.

Der Zweifel schaut mir trübe zu,
Aus glasigroten Augen -
Mein Kopf ist ein zerlatschter Schuh,
Das Hirn will nicht mehr taugen.

Ein Dämmern krallt sich in mein Ich,
Vom neuen Tag beschenkt,
Der harzig bei Geburt verblich,
In Alkohol ertränkt.

Südfrüchte & das eintausendneunhundertsiebenundvierzigste Gedicht

Kakibaum am Ufer der Etsch bei Verona

Thermenpoem

Das Dichten unter Nackten ist
Mir recht oft schon gelungen.
Doch heut hat mich, vertrackt nochmal,
Nur Anblick angesprungen,
Der nicht zu überhören war -
Ich frag mich selbst, wie das geschah!

Es zerstörte ne Pofalte hier oder da
Mein versebeflissenes Treiben,
Da empörte ein Mulden entlockendes Haar
Mein sonst so hairoisches Schreiben!

Doch inmitten der Knospen, da spann sich ein Schatten,
Der warb um die rosigsten Worte.
Schien mir auch des Geistes Esprit zu ermatten -
Als Quelltrog der farbreichsten Worte
Sprudelte jene von Nichtlicht und Haut
Neusinnlich glitzernde Sicht.
Die von aller Nacktheit, die ich stumpf beschaut,
Prompt aufblitzt zu einem Gedicht.

Seiten

RSS - Erde abonnieren