Berlingedicht

Gedichte über das Leben in der Hauptstadt.

Warschauer & das neunhundertdreiundzwanzigste Gedicht

S-Bahnhof Warschauer Straße

U-Bahnvibe und Unterleib

An dem untersten Ende der Fahrgästerücksicht
Steh'n die rollkofferzieh'nden Touristen
Für die geht man sowas von nicht-aus-dem-Weg
Denen funkelt es zu: "Bei der nächsten Begeg-
Nung werd'n wir eure Bauchnäbel fisten!"

Doch am untersten Ende der Fahrgästerücksicht
Muss keiner sich langfristig quälen
Und wird daheim vom roughen Charme
In dem Berliner U-Bahndarm
Fast süffisant erzählen

Berliner Sommer & das neunhundertzweiundzwanzigste Gedicht

Berliner Sommer am S-Bahnhof Landsberger Allee

Berlin kann kein Sommer

Berlin ist im Sommer immer so hilflos
Und sieht dabei oft scheiße aus
Stolziert dann umher wie'n williger MILFschoß
Und pfeift sich selbst nach: "Heiße Maus!"

Hier dörrt jeder Grashalm 'n Spürchen zu schnell
Und verkleidet sich manch Mensch zu mutig
Hier staubt hohle Wärme 'n wenig zu grell
Ist das Grillgut ein bisschen zu blutig

Bei brüllendster Hitze wird romantisiert:
Diese Stadt macht aus uns Sukkulenten!

Berlin kann kein Sommer - dein Touristguide irrt
Diesen Kram glaub'n hier nur die Studenten

Potsdamer Platz & das neunhunderteinundzwanzigste Gedicht

 Potsdamer Platz

Potsdamer Platz (und ein, zwei Gedanken über eine Namensänderung)

Potsdamer Platz, Potsdamer Platz
Auf dich reimt sich eig'ntlich nur Kotzalarm, Schatz!

Wie: "Ach, da schau ma' her, hey - das wusst' ich ja nich!"
Mensch, Platz, dafür braucht's auch 'nen Dichter wie mich
Wie: "Toll, aber fällt dir nichts Schöneres ein?"
Nun, Kotzalarm, Schatz! kann so schlecht ja nicht sein
Impliziert doch der Reim: Da sind zwei, die noch fighten
Für die Liebesbeziehung in schwierigen Zeiten

"Mein Zielpublikum wird das wohl nicht so versteh'n ..."
Dann müssen wir beide am Endreim was dreh'n

Hier kommt schon Teil Zwo: Gib Pföt'gen, Schatz!
Und dich, dich nenn'n wa Klötgen-Platz!

Einverstanden? "Ja, ok!"
Ich glaub's, wenn ich die Schilder seh'...

Modersohnbrücke & das siebenhundertsiebenundachtzigste Gedicht

Modersohnbrücke

Berliner Boden

Hier ist das Pflaster noch Teil einer Wunde
Klatscht der Schritt über Härte zurück in das Bein
Im Gestein klebt das Wimmern getretener Hunde
Ist die Coolness ein Bittbrief, hier glücklich zu sein?

Bebelplatz & das siebenhundertsechsundachtzigste Gedicht

Bebelplatz

Berliner Stadtteiler: Mitte

In Mitte, da herrscht Mitte-Maß
und trotzt dem "L", das ich vergaß

Gendarmenmarkt & das siebenhundertdreiundachtzigste Gedicht

Die Kugelahorne vom Gendarmenmarkt

Die Kugelahorne vom Gendarmenmarkt

Wenn Kugelahornfälldebatten
manch kluges Naturell beschatten
Wenn Niedrigäst und Blätternest
versag'n im Platzverwertungstest
Wenn Häuptlinge vom Stamme Nimm
den Stämmen drohen, ist das: schlimm

Sind Zweigstellen mit Kindchenschema
wirklich kein Touristenthema?

Ist das gernegroß-ulkige "Ick bin zufrie'n ..."
nicht sinnbildlich baumelnd für "Ditt is Balin!"?

Wohlan, ihr Stadtentwicklungstucken
es gilt in Reue sich zu ducken!
Ihr sollt bei jedem "be Berlin"
den Kugelahorn einbezieh'n!
Und lehrt es auch noch eure Blagen:
Wer A sägt, muss als B versagen!

Berliner Pflaster & das siebenhundertfünfundfünfzigste Gedicht

Die Spree am Berliner Hauptbahnhof

Ich hab' noch einen Rollkoffer in Berlin

Ich hab' noch 'nen Rollkoffer in Berlin,
Mit dem lässt sich leicht auch woandershin zieh'n.

Doch gibt's noch 'nen Keller dort voller Müll,
Den ich wohl auch weiterhin kräftig befüll'.

Den räumt kein Entrümplungskommando mir leer!

Wenn ich auch reise, denk' ich mir leise:
Wenn mich die Spreesucht packt,
Fahr' ich halt wieder her.

Berliner Inseln & das siebenhundertdreiundfünfzigste Gedicht

Spreebrücke am Berliner Hauptbahnhof

Rummelsburger Bucht

Lass uns

In den Speckgurt zieh'n,
Wo in Legebatterien
Kleinfamiliengroßstadtleute
Harren als Idyllenmeute;

Lass uns

Tüchtig Freilandbabys züchten,
Die dann in solch Schmähgedichten
Eines Tages lesen müssen,
Dass sie doch halt zum gewissen
Grade Massenware sind.

Schade, doch egal, mein Kind!

Tor 22 & das siebenhundertsechsunddreißigste Gedicht

Märchenwelt der Linzer Grottenbahn

Im Friedrichshainer Märchenbrunnen, restauriert

Hier, zu Hufen von vier Hirschen
im Rondell mit andren Tierschen
küssen sich d' Liebespärschen
und erzähl'n sich wieder Märschen
Turteln sich was zwischen niedlischen Putten
glauben sich das, zwitschern friedlisch vom gutten
Gefühl, das zwischen ihnen herrscht
Ob davon auch der Hirsch was merscht?

Da steht der drüber, liegend zwar
links, rechts – als je entzweites Paar
das keines Blickes würdigt sich
im Abgewandtsein brüderlich

Doch wer sieht auch die Hirsche? Man kommt ja hierher
um d' Putten zu gucken, zu rätseln, welch Mär-
chen sich hinter jedweder sandsteingefestigt
verbirgt und verbürgt, dass das Happy End mächtig
ist und techtelmechtig bleibt
Egal, was sie und ihn noch treibt

Nur: panta rhei – hier in Kaskaden
Wer alles will, der nimmt auch Schaden
Die Hirsche wird's nicht interessier'n
die musst' man auch nicht restaurier'n

Tor 16 & das siebenhundertdreißigste Gedicht

Berlin Mitte

Berlin, kulinarisch

Buletten aus Charlottenburg
Tea-to-go in Tegel
Dönerwerk aus Schöneberg
Für die Blagen Bagel

Prenzelberger Brezel-Backwar'n
Spanferkel aus Spandau
Pankows Pfanne heißt jetzt Wok
Nichts, was ich nicht ankau!

Von frischen Hai'n in Friedrichshain
War ja schon zu lesen
Selbst für Nockerln aus Neukölln
Lockern wir die Spesen

Was allzu unverdaulich – sprich:
"Iss das ma' selbst – ich trau mir nich'!"
Verklappen wir als Berlin-Food
'nem Easyjetset-Tunichtgut

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