Alter, Tod & Abschied

Gedichte über das Älterwerden, den Lebensabend, Krankheiten. Und den Tod.

Lichtblick & das eintausendsechshundertsechzehnte Gedicht

Im winterlichen Englischen Garten

Das letzte der Herz/Schmerz- und Lust/Frust-Gedichte

Mein leer gepumptes Herz
Hält inne ohne Schmerz -
Auf Tauchgänge im Frustteer
Hat's einfach keine Lust mehr.

Würm & das eintausendsechshundertachte Gedicht

Die Würm bei Feldmoching

Sachliches Sterben

Die Spuren einer Kindlichkeit
Im schwindenden Gesicht -
Sie folgen trübnisarmer Zeit
Aus greisenfrommer Pflicht.
Gern wär ich ohne Vorbehalt
Kurz ungezwungen heiter!
Da steh'n wir zwei, gemeinsam alt

Und wissen nicht mehr weiter.

Licht I Wald & das eintausendfünfhundertvierundneunzigste Gedicht

Lichtwald bei der Lichtaktion "Kunst verbindet" im Kunstareal München

Wann Lasche abnippeln

Und mit einem Mal weiß ich:
Oh, 2030
Ist doch sehr sehr fern
Und würd ich auch gern
Es lebenden Auges besehen,
Muss sicherlich vorher ich gehen.

Denn vor Geburtstag 62
Rechne ich damit, es rächt sich
Des Lebensrauschs Fülle
An sterblicher Hülle.
Dann wird's nix mit mir und Jahr 2030 -
Da kann ich mich auch nicht beschwer'n, Herr, das weiß ich.

Andrerseits gibt's Register,
Die blieb'n ungezogen:
Hatt' lebenslang Schiss vor zu heftigen Drogen -
Und ein Achteljahrhundert nur Verse Verfassen
Schafft auch wenig Zunder für'n ungesund krassen
Lebenswandel.

Hält dann vielleicht mein Daseinsbandel
Doch noch in die Dreißiger?
Fraglos freudlos, scheißiger.

Und plötzlich Zweifel: Wird's nich'
Doch eh'r 2040?

Mittlere-Isar-Kanal & das eintausendfünfhundertachtzigste Gedicht

Brücke über den Mittlere-Isar-Kanal bei den Ismaninger Fischerteichen

Vor der Zielgeraden

Wir sind so weit gekommen, dass das Ziel uns beschämt
(dabei sind wir längst merkwürdig desint'ressiert).
Die Beschwerlichkeit hat unsern Eifer gezähmt,
Wir wittern den Endspurt, wie paralysiert.

Lass uns umkehren und unsern Irrtum erkennen -
Nach Diktat legen hehrste Motive sich wund!
Wir können ab heut alles anders benennen.
Wir reisten aus einem vergessenen Grund.

Blätterwald & das eintausendfünfhundertsiebzigste Gedicht

Herbst im Olympiapark München

Am Altpapiercontainer

Am Container für Papier
Wird's Gemüt so trübe dir,
Weil das, was in den Schacht du schiebst
Und dem Vergessen übergibst,
War von Gewicht zu deiner Zeit -
Nun geht's den Weg zur Nichtigkeit.

All die sorgsam aufbewahrten
News, Ideen und Heldentaten,
"Boah!"s, die zum Bericht verdichtet,
Journalistisch nachgerichtet,
Menschen, die die Welt bewegten
Und dein eignes Werden prägten -

Was kurz als geltend galt, wird hier
Zur Restressource Altpapier.

Sehr wenige der mal gelesenen Zeilen
Werd'n ewignah in der Erinn'rung verweilen -
Es geht dein Gedächtnis so bald schon in Rente
Und schluckt dann eiskalt selbst die schönsten Momente.
Drum wird's Gemüt so trübe dir
Dort am Container für Papier.

Rosengartenzentaur & das eintausendfünfhundertsechsundsechzigste Gedicht

Zentaur-Statue im Rosengarten der Borstei München

Prekärer Rat

Und wieder wird ein neuer Tag
Nichts Lohnenswertes bringen,
Nur sein Portiönchen Zahnbelag
Aus alten Lappen wringen.
Du putzt und putzt und putzt und putzt,
Doch nichts wirkt echt gesäubert.
Da jeder Tag nur schlecht genutzt-
E Lebenszeit dir räubert.

Ob dich das in den Selbstmord treibt?
Ich wüsst' nicht, was dir sonst noch bleibt -
Bedenklich wie bedenkenswert,
Vielleicht wird's ja gelingen?!

Bevor sich unnütz Zweifel mehrt:
Mehr wird der Tag nicht bringen!

Alte Wirkstätten & das eintausendfünfhundertachtundfünfzigste Gedicht

Überruhr Holthausen

Verblasste Chance (an der Heimlichen Liebe zu Heisingen)

Hei, singen wir heut' von der heimlichen Liebe
Der'n Unheimlichkeit ich einst schüchtern gescheut!
Doch wäre anheim ich gefall'n ihr – was bliebe?
Vielleicht hätt' ich's einfach nur gleich schon bereut

Westallgäu & das eintausendfünfhundertachtundvierzigste Gedicht

Am Bahnhof von Heimenkirch im Allgäu

Lockdown Triage

Ich liege bereits bei den Toten,
In der Hoffnung, ein Arzt käm' vorbei.
Der Raumwechsel ist mir verboten.
Im Trance, man sei bald an der Reih',
Betrachte ich scheu die verdrehtesten Nachbarn
Als mahn'nden Beleg, dass die ehemals wach war'n
Doch wehre mich gegens Erschauern.
Hier ist dein Platz. Es wird dauern.

Zweites Ende & das eintausendfünfhundertsiebenundvierzigste Gedicht

Regenbogen über Venedig

Auf Stippvisite

Denke dir jede Minute als heilig,
Füll sie mit Eindrücken voll bis zum Rand!
Selten Beteiligte haben es eilig,
Heut nicht Geseh'nes wird niemals bekannt.

Es gilt, diesen Augenblick gründlich zu schröpfen,
Es türmt sich bedenklich das Wissen.
Mag sein, unser Alter wird uns heut noch köpfen:

Ich werde das Reisen vermissen.

Dorsoduro & das eintausendfünfhunderzweiundvierzigste Gedicht

Im Dorsoduro von Venedig

Rindsrouladen

Den Zauber der Beständigkeit
Werd ich alsbald vermissen,
Da in seinen Prämissen sich
Schon erste Fasern trennen.

Schon schmilzt ein Gletscher aus der Zeit,
Der wird sich nicht erneuern.
Mag Fortschritt sich beteuern - mich
Reu‘n die, die dich nicht kennen.

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