Alter, Tod & Abschied

Gedichte über das Älterwerden, den Lebensabend, Krankheiten. Und den Tod.

Glyptothekinnenhof & das zweitausendzweihundertzweite Gedicht

Wintersaison im Glyptothekinnenhof-Café

Unbesetzt

Und nichts entwirrt die Einsamkeit
Von unbesetzten Plätzen -
Die Tiefe der Verlorenheit
Ist niemals abzuschätzen.

Ab morgen wird hier ausrangiert,
Fast alles wird verschwinden -
Und ziellos aus der Leere stiert
Der Zwang, dies zu verwinden.

Glyptothek & das zweitausendeinhundertachtundneunzigste Gedicht

Die Glyptothek im Kunstareal München - Museum für die Sammlung antiker Skulpturen

Coda

Es schwärt ein Dunst von Traurigkeit
Überm abermissglückten Versuch ...
Und was erleichtert nun dein Leid?
Vielleicht ein gutes Buch?

Du kanonierst ein "Hilft ja nichts!"
In schwersterlernter Melodie
Und mit dem Timbre des Verzichts
Zum herzentkernten "C'est la vie!".

Doha Airport & das zweitausendeinhundertdreiundneunzigste Gedicht

Dem Gähnen

Die letzten Kostbarkeiten blinken
Im zur Rarität schwindenden Alltagsmoment
Und egal, wie gelöst wir aufs Wohl von uns trinken -
Es löscht nicht den Fakt, dass die Zündschnur längst brennt.

Gönnt euch diesen Tränenquell, Freunde! Ihr wisst es:
Das Gähnen von heut ist ein bald schon Vermisstes.

Doch letzte Kostbarkeiten laden
Uns diesen Tags noch zu Umarmungen ein
Und wir singen den Schlager von Fräul‘n Helens Waden,
Woll‘n der Jukebox den Sprung in der Platte verzeih‘n.

Gönnt euch diesen Tränenquell, Freunde! Ihr wisst es:
Das Gähnen von heut ist ein bald schon Vermisstes.

Nun gilt hier keinem mehr als kostbar,
Was zu unserer Zeit auch nur landläufig war.
Wir zwängen den Trott zwischen Hostie und Popstar
Und beugen uns aller Verklärungsgefahr.

Gönnt euch diesen Tränenquell, Freunde! Ihr wisst es:
Das Gähnen von heut ist ein bald schon Vermisstes.

Pink Christmas & das zweitausendeinhundertzweiundneunzigste Gedicht

Der Christkindlmarkt der LGBTQ*-Community im Glockenbachviertel

An Haltestellen, hoffnungsvoll

An Haltestellen, sehr hoffnungslos stehend
Und tranig der Fahrtwege Welten besehend,
Sinkt des Lebens Sinn hin
In tiefere Tiefen
Wenn die Dinge so laufen, wie sie bislang liefen,
Verfaul ich, wo ich bin.

Isarruhe & das zweitausendeinhundertsechsundachtzigste Gedicht

Isar bei Thalkirchen

13.333 km

Es war nur eine prüde Zahl,
Die mich anhielt, kurz inne zu halten.
Mich rührte ihr "Es war einmal ..."
Und es schalt mich, mal tiefer zu schalten.

Dein Rad hab ich bewahrt, nur manch Rat
Hab ich zu erinnern vergessen.

So unentrinnbar läuft die Fahrt -
Und die Abstände werden vermessen.

Letzte Ernte & das zweitausendeinhundertvierundachtzigste Gedicht

Murnauer Moos, Heuballen

Die Kommoden

Noch stemmt sich etwas Restepracht
Gegen Kantenschleifer.
Unverwandt, doch gut bedacht,
Markt sie blinden Eifer

Als Abzulehnendes,
Zu nichts Verwehendes.

Sie hält den Lauf der Welt nicht auf,
Sie hält nur kurz den Schritt.
Sie winkt kommod dem Ausverkauf -
Und ich, ich winke mit.

Landhandel & das zweitausendeinhundertneunundfünfzigste Gedicht

Auslage in Wennströms Landthandel Museum auf Vårdö

Eine lyrische Transformation als kuba-schwabinger Übersetzung der Texte der Dichterin Luz de Cuba

Die Ahnen (Egungun)

Im Erahnen der Ahnen
Und ihren weisen Hinweisen
Besänftigt sich meine Tortur.
Sie rüsten mich fürs Überwinden,
Aus zähem Dunkel rauszufinden,
Sind Licht und Lichtung pur,
Greifen ein wie ein Handwink, der meinen Weg leitet,
Sind das Nichts, das den Körper als Seele begleitet,
Ein spirituelles Vermächtnis,
Dessen Schatz testamentlos hier echt ist
Und sich üppig wie endlos vererbt.
 
Auch ungeglaubt entern sie Wirklichkeitssphären,
Wie als Teenager mir meine Oma erschien,
Entflammt aus der Ahn‘reihen magischem Schwären,
Unfassbar real, seither nicht zu entzieh‘n,
Spür ich ihre Präsenz, nachts im Traum, jederzeit,
Und wenn ich einst geh, steh‘n die Ahnen bereit,
Mich einzubinden in ihrem Geflecht
Von Stämmen, Historie, Familiengeschlecht,
Bis dass ich vollends Ahnin bin,
Dass ein Enkelkind oder Großenkelin
Als spirituelle Verbindung auf Erden,
Meine Seele ruft, wiedergeboren zu werden.

Votivschiff & das zweitausendeinhundertfünfundvierzigste Gedicht

Votivschiff in der Kirche St. Michael in Finström

Körpercoda

Es gurgelt das Bild meiner Körperverfassung
Durchs abflussverwachsene Loch.
Schon ächzt meine einstige Stolz-Niederlassung,
Geklammert ans hilflose Noch.

Es zeitigt sich ein auf ein Selbst im Verschwinden,
Die Freude spannt Gedächtnis ein,
Verdonnert zum fortan gewinnlosem Winden -
So schmerzhaft groß, so schmerzhaft klein.

Kastenmühlwehr & das zweitausendeinhundertsechsundzwanzigste Gedicht

Das Kastenmühlwehr in Wolfratshausen

Staustufen der Zerrüttung

Da oftmals ein Notfalls ein Mögliches wahrt
(und mag es auch dessen Notiz nicht erhoffen!),
Fühl ich mich noch immer nicht ganz offenbart
Und lediglich schwer anstatt tödlich getroffen.

Sendestation & das zweitausendeinhundertzweite Gedicht

Bratislava Radiostationsgebäude (Budova Slovenského rozhlasu)

Weg Gefährten

Da du so viel an Abstand schufst,
Entschwandest du auch mir.
Dass du nach uns wie weiland rufst,
Ist postsoziale Zier.

Wir werden nie einander fremd,
Doch trennen uns jetzt Welten -
Was junge Schönheit nicht mehr stemmt.
Ob mich das dauert? Selten.

Seiten

RSS - Alter, Tod & Abschied abonnieren