Alter, Tod & Abschied

Gedichte über das Älterwerden, den Lebensabend, Krankheiten. Und den Tod.

Basel & das vierhundertsiebte Gedicht

Basel Rheinufer

Gold

Plötzlich schweift um dich Gold der besonderen Welten
Als Essenz von dem Wunsch, dieses Sein zu erhalten
Doch die Delle des Eindrucks verdümpelt im Selten
Und über die Jahre wird alles zum Alten

Obgleich immer öfter die Züge entgleisen
Und täglich es schwant: Du wirst nie wieder reisen
Sind auch die Tresore schon restlos geleert -
Das Wissen vom Gold verliert niemals an Wert

Belgien & das dreihundertneunzigste Gedicht

Aufgelöst

Dürrbeinigkeit stiefelt über das Pflaster
Im Warteraum lächelt ein Magergesicht
Nur mich übermannen die üblichen Laster
Ich könnte es schaffen, ich will es nur nicht

Da seufzt der verlorene Anfang des Tages
Ich schüttle ihn durch, brüll: "Was willst du Kerl, sag es!"

Doch bis zum Abend bleibt er still
Und stellt infrage, was ich will
Und was ich überhaupt noch kann
Ganz unberührt von "Wie?" und "Wann?"

Schon hampelt die Hagerkeit hinter der Tür
Ich werde so traurig und weiß nicht wofür

Laub & das dreihundertneunundsiebzigste Gedicht

Herbstlaub

Herbstlaub

Wenn Herbstlaub mir aufs Haupthaar fällt
Und gnädig bedeckt all die lichteren Stellen
Die manch Gedicht schon hergestellt
So drängt es die Erben, die Stämme zu fällen

Wie mutig die sich an den Sägen verheben
Und an den verlockenden Knebelverträgen
Die man noch lockig abgesegnet
Und die bald schon die Stille der Flocken beregnet

Indes kämme ich mein Haupthaar
Lass das Laub hinunterschweben
Wenn ihr Bäume es erlaubt, ja
Mag ich noch ein Jährchen leben -
Nicht den Blick nach oben richten:
Übers Schweben möcht' ich dichten

Hölderlin & das dreihundertachtundsechzigste Gedicht

Altstadt Tübingen.

Altstadt Tübingen.

Der Hölderlin

Ach, hol dich doch der Hölderlin!
Du Hasenheld auf Heroin
Willst prompt 'ne grade Linie zieh'n?
Bist grad vier Wochen trübnisclean!

Denk dir, ich habe kein Christkind geseh'n!
Und wenig Verbindliches ist im Entsteh'n ...
Warst du nicht viel zu häufig hier
Als nicht gebuchtes Musketier?
Unsre Niederschlagsmenge schluckt kein Kokain!

Schon holt er dich, der Hölderlin ...

Tübingen & das dreihundertsiebenundsechzigste Gedicht

Blumenpracht an der Eberhardsbrücke Tübingen

Herbstverleugnende Blumenpracht an der Eberhardsbrücke

Lars

Es trifft die stets zuerst
Die am stärksten sich wehren
Die sich emsig beherzt
An dem Willen verzehren
Aus der Teilnahmetaubheit sich sichtwärts zu strecken
Und die Außenwelt drängen, mal sie zu entdecken ...

Doch es bleibt dann dabei, dass sie niemand hier kennt -
Eine Chancenverwertung von hundert Prozent:
Sie war'n ja niemals vorgeseh'n
Sind so geseh'n auch nie gescheh'n

Es gerät ihr Abschied doppelt dumpf
Kein Gnadenbrot und kein Triumph

Was ich je erlangte - es gehörte auch ihnen
Obschon sie ja niemals in Greifnähe schienen
So soll denn mein Stolz denen ohne Gedenken
Mal ab und an ein Lächeln schenken

Abu Dhabi III & das dreihundertdreiundzwanzigste Gedicht

Saadiyat Beach

Die Sonne geht unter, der Tag darf beginnen. Soll niemand sagen, sie hätte nicht alles gegeben.

Der neunzehnte Stock

Ja, von hier kann ich das Meer seh'n
Gleich neben mir den Rooftop-Pool
Seh Taxifahrer Runden dreh'n
Die Luft ist immer noch nicht cool

Es geht schon auf Eins zu
Doch der Tag scheint noch jung
Er fädelt sich ein - du
Verlorst deinen Schwung
Weil du viel zu früh hungrig ins Leere greifst
Die wahre Bestimmung vertändelnd nur streifst

Du weißt genau: Die Ungeduld
Ist niemals jemand anders schuld
Winkst der Stadt zu: "Naja, eig'ntlich hätt' ich noch Bock!"
Und du schaust sie dir an, dort vom neunzehnten Stock

Dünenwanderweg & das dreihundertachtzehnte Gedicht

Dünenwanderweg Sylt

Letzter Inselwechsel vor Madagaskar: Sylt.

In der Gischt

Schlürfend holt sich die gierige Ebbe
Das grade gewonnene Strandgut zurück

Doch wenn wir das nicht beachten
Alles nüchtern betrachten
Waren die paar Sekunden
Die wir mit ihm verbunden

Für ein bis zwei Leben
Schon neidbares Glück

Alter Nordfriedhof & das dreihundertundzwölfte Gedicht

Alter Nordfriedhof Maxvorstadt

Wie soll das alles enden?

Das Weitere und die Endzeit

Diese Zeile hat noch gar keinen Dunst, wo sie endet
Und auch dieser hier werde ich das nicht verraten
Diese glaubt, dass sich durch ihr Dazutun was wendet
Und nun steh'n sie zu viert hier geschrieben - und warten

Sich im Ist einzurichten, klingt manchmal gescheiter
Denn oft geht's im Leben ja gar nicht groß weiter

Tegernsee revisited & das dreihundertundachte Gedicht

Tegernsee

Ripostegedicht zu "Überlass es der Zeit" von Theodor Fontane.

Übernimm es mal selbst

Ja, doch die Zeit ist auch irgendwann rum!
Dann stehste da, Theo, und denkst dir: "Tja, dumm ...

Hätt' ich beizeiten mal etwas gedrängt
Mich durch all die andern nach vorne gezwängt

So wäre auch ich mal zum Zuge gekommen!"
So haben sich alles die andern genommen

Denn leider hat all deine Zeit-vergeht!-Thesen
Von denen, scheint's, irgendwie keiner gelesen

Und kommt dir das Glück all der andern zu Ohren
Erscheint dir Entgang'nes gleich doppelt verloren

Berlinische Galerie & das dreihundertunddritte Gedicht

Eingang Berlinische Galerie

Museale Sehnsüchte.

Das Mus der Dinge

Was hab'n wir nicht alles schon tot hier begraben?
Und nichts hallt noch nach, bist du, Freund, nicht Museum
Doch du bist nicht Museum - Museum? Du nicht
Wir zwäng'n uns in engste Erinnerungswaben
Und all unsre Bilder und Schilder, die Wildheit
Fall'n eine Welt später nicht mehr ins Gewicht

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